1668 - Wolfsnacht
vorbereitet.«
»Aber das kann doch nicht sein. Niemand wusste oder ich…«
Helen war völlig durcheinander, und der Alte streckte ihr seine Hände entgegen. »Es ist alles richtig. Du musst dir keine Sorgen machen. Es wird dir hier sehr gut gehen.«
»Nein, das will ich nicht. Ich will nicht, dass es mir hier gut geht. Ich will wieder nach Hause.«
»Hier ist dein Zuhause!«
»Auf keinen Fall…«
Plötzlich wurde ihr klar, in welcher Lage sie sich tatsächlich befand. Sie hatte das Gefühl, auf einem weichen Boden zu stehen, der ihre Knöchel umschlungen hielt. Man hatte ihr klargemacht, dass dieses Haus ein Gefängnis war. Eines, in dem sie eine unbestimmte Zeit verbringen sollte.
Diesen Igor hatte sie als Werwolf erlebt, und jetzt fragte sie sich, ob auch der Alte zu diesen Geschöpfen gehörte. Gewundert hätte es sie nicht. Und so begann sie sich vor der Dunkelheit zu fürchten. Dabei war nicht abzusehen, wie lange ihr Aufenthalt im Schloss andauern würde. Bestimmt nicht nur eine Nacht. Die Angst war wie ein unsichtbares Tier, das sich in ihren Körper geschlichen hatte.
Boris nickte seinem Sohn zu. »Nimm sie mit, bitte. Zeig ihr erst mal ihr Zimmer.«
»Ja, Vater.«
»Und was die beiden Männer angeht, so müssen wir uns für sie etwas einfallen lassen.«
***
Igor hatte Helen Winter auf die breite Steintreppe zu dirigiert, die sie nun hochgehen mussten. Sie gingen mit langsamen Schritten, und Helen hatte das Gefühl, bei jeder Stufe, die sie erreichte, leicht zu schwanken. Ihr Kopf war noch immer voll von dem Gehörten, und sie konnte es einfach nicht fassen, das ihr ein derartiges Schicksal widerfahren war. Man hatte sie geraubt, einfach aus ihrem Leben geholt. Das war kaum zu begreifen. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als Stufe für Stufe hochzugehen, bis sie am Ende der breiten Treppe einen Flur erreichten, der ebenfalls leer war. Da hing kein Gemälde an der grauen Wand. Da stand keine Rüstung, da gab es auch keine Sitzgelegenheit. Aber es gab Licht. Und das stammte nicht von irgendwelchen Kerzen, sondern von runden Leuchten, die an der hohen Decke befestigt waren und als erhellte Kugeln nach unten hingen. Ihr Schein erreichte den dunkelroten Steinboden und hinterließ dort einen schwachen Glanz.
Türen zweigten zur linken Seite hin ab. Zwei standen offen, und beim Passieren warf Helen einen raschen Blick in die dahinter liegenden leeren Räume. Sie hoffte, dass ihr Zimmer nicht genauso leer war. Obwohl sie es nicht kannte, sah sie es schon jetzt als ein kaltes Gefängnis an. Und sie fragte sich, wann man anfangen würde, nach ihr zu suchen. Ob die beiden Männer aus London auch dazu in der Lage waren, und wie würden ihre Eltern reagieren, wenn sie merkten, dass sie sich nicht mehr im Haus befand und sich auch nicht verabschiedet hatte?
Als sie die kräftige Hand auf ihrer rechten Schulter spürte, blieb sie stehen.
»Warte!«
Igor ging zwei Schritte, dann hatte er die Tür erreicht, in deren Schloss ein Schlüssel steckte. Den drehte Igor zweimal herum. Danach drückte er die Tür nach innen und bedeutete mit einer Handbewegung, dass sich Helen in Bewegung setzen sollte. Sie ging.
Und bei jedem Schritt zitterten ihre Knie. Sie wusste, dass das Zimmer hinter der Tür ihr neues Zuhause war, und wunderte sich über sich selbst, dass sie nicht durchdrehte. Im Gegensatz zu den anderen Zimmern, in die sie hineingeschaut hatte, war dieses hier eingerichtet. Es gab ein breites Holzbett, einen großen Schrank, einen Tisch, auch Stühle und eine Waschgelegenheit. Da musste man eine Pumpe betätigen, um Wasser in einen Bottich fließen zu lassen.
Zwei Fenster gab es auch. Sie waren natürlich geschlossen. Igor hatte Helen in den Raum geschoben und fragte jetzt: »Gefällt dir deine Bleibe?«
Sie lachte ihn scharf an, bevor sie fragte: »Was willst du denn hören?«
»Nur die Wahrheit!«
»Ich will hier wieder weg. Und zwar sofort!«
Igor sah sie an. Er starrte in ihr Gesicht, als wollte er ihre Gedanken lesen. Dann schüttelte er den Kopf und sagte mit leiser Stimme: »Es ist wichtig, dass du hier bleibst.«
»Aha - und warum?«
Plötzlich grinste er kalt und schief. »Weil ich dich hier besuchen werde. Und ich schwöre dir, dass es nicht mehr lange dauern wird. Bereite dich auf den heutigen Abend vor, dann werde ich zu dir kommen.«
»Und weiter?«, flüsterte sie. Sie hatte jetzt ein wenig Mut gefasst.
»Dann werde ich das tun, was ich tun muss.«
»Töten, wie?«
Sehr
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