1670 - Der Psychonauten-Gott
das andere. Der Schwindel war da, weil der Kreislauf nicht mehr so reagierte, wie es hätte sein müssen. Er kam sich vor wie ein alter Mann, als er das Wohnzimmer verließ, ins Bad ging und erst mal über dem Becken Wasser in sein Gesicht schleuderte. Die Erfrischung tat ihm gut, machte ihn aber nicht munter. Das würde eine Dusche bringen, und Harry war froh, als die ersten Strahlen auf seinen Körper niederprasselten. Lange blieb er unter der Dusche, die allerdings seine Übelkeit nicht vertreiben konnte. Harry trocknete sich ab, und nach dem Ankleiden kochte er sich einen starken Kaffee. Er wusste nicht, ob ein Tee nicht besser für ihn gewesen wäre, aber er blieb beim Kaffee und war froh, die ersten Schlucke trinken zu können.
Er aß auch eine dünne Scheibe Toast, starrte dabei von sich hin, und seine Gedanken drehten sich einzig und allein um Dagmar, die verschwunden war, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Dabei war sie nicht allein gewesen, denn nicht sie hatte Harry niedergeschlagen, das musste jemand anderer gewesen sein, den Dagmar in die Wohnung gelassen hatte. Und Harry konnte sich nur vorstellen, dass Dagmar die Seiten gewechselt hatte, weil eben ihr Erbe zu stark war. Und jetzt?
Dagmar war verschwunden, und Harry war entschlossen, sie zu suchen. Doch wo sollte er anfangen?
Er wäre kein Problem für ihn gewesen, hätte er die Entführung zu einem offiziellen Fall machen können. Das war so gut wie unmöglich. Er hätte es erklären müssen, und dabei wäre die Wahrheit über Dagmar ans Licht gekommen. Nein, so ging das nicht. Ich muss als Einzelkämpfer agieren!, dachte er. Ich habe keine andere Wahl. Ich werde mich auf die Spur dieser anderen Typen setzen müssen.
Seine Chancen waren gering. Aber er konnte sie um das Doppelte erhöhen, wenn er Unterstützung erhielt.
Da gab es nur eine Möglichkeit. Sein englischer Freund lebte in London. Vielleicht hatte auch er ein freies Wochenende und verbrachte es zu Hause. Ein Anruf würde Klarheit bringen. Egal wie früh es war.
Die Sorge drückte wie eine schwere Last auf Harrys Brust. John würde ihn verstehen, wenn er erklärte, um was es genau ging.
Er gönnte sich noch eine Tablette und griff dann zum Telefon…
***
Der Flieger schwebte bereits der Stadt Hamburg entgegen. In der klaren Luft war das Panorama bestimmt toll, ich hatte dafür keinen Blick, denn ich war nach einem kurzen Schlaf wieder erwacht.
Neben mir hörte ich das Schnaufen meines Mitpassagiers. Das war mir schon beim Start aufgefallen, und er schnaufte noch immer. Jetzt war ich froh, geschlafen zu haben. Zudem war der Mann mit dem spärlichen Haar nicht eben der Schlankste, er hätte auch zwei Sitze beanspruchen können. Jetzt wischte er über seine feuchten Lippen und sprach mich an.
»Gut geschlafen?«
»Ja.«
»Ich nicht.«
»Jeder so, wie er kann.«
»Genau.« Der Dicke schaute nach links aus dem Fenster. »Tolle Sicht«, meldete er. »Ich bin gern in Hamburg. Irgendwie erinnert mich diese Stadt an London.«
»Das kann sein.« Ich hatte keine Lust, mir die letzten Minuten vor der Landung noch mit einer blödsinnigen Unterhaltung zu vertreiben, und schloss die Augen in der Hoffnung, dass meinem Nebenmann dies auch auffiel.
Als die Räder die Landebahn berührten, war ich wieder da. Die Maschine rollte aus, der Kapitän bedankte sich bei den Passagieren, dass sie mit seiner Linie geflogen waren, und dann konnten wir den Flieger verlassen.
Der Dicke hatte es eilig. Ich ließ ihn vorgehen, und schnaufend bahnte er sich seinen Weg.
Meine Waffe erhielt ich zurück, dann schwemmte es mich auf die Gangway. Hamburger Luft, Hamburger Sonne und Hamburger Wind empfingen mich. Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Wie geschaffen für eine Rundfahrt durch den Hafen oder über die Alster. All das lohnte sich, doch ich befürchtete, dass es dazu nicht kommen würde. Ich war ja nicht zum Spaß an die Elbe geflogen.
Am frühen Morgen hatte mich der Alarmanruf meines Freundes Harry Stahl geweckt, und was ich von ihm zu hören bekam, das hatte mir nicht gefallen. Es ging um Dagmar Hansen, seine Partnerin. Sie war entführt worden, und das von Unbekannten, die Harry nicht gesehen hatte. Aber er wusste, dass die Spur zu den Psychonauten führte und sogar zu einem Psychonauten-Gott. Mehr hatte er mir nicht sagen können. Das Wenige hatte ausgereicht, um mich in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Ich hatte mir sofort ein Ticket bestellt und hatte auch Glück gehabt, eine Maschine zu
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