1670 - Der Psychonauten-Gott
konnte man die gläsernen Wände schon nicht mehr bezeichnen. Es waren einfach nur Fassaden, aber es war uns nicht möglich, durch das Glas in das Haus zu schauen, zumindest nicht in die oberen Etagen, denn da schützten von innen angebrachte Lamellen die Menschen vor fremden Blicken.
Jedenfalls hatte das Haus einiges gekostet, und man musste davon ausgehen, dass dieser Olsen ein reicher Mann war. Er war auch Professor, das lasen wir auf dem Schild rechts der Tür. Es war aus gebürstetem Stahl hergestellt worden und glänzte hell im Licht der Sonne.
»Private Praxis Professor Gerd Olsen«, las ich halblaut vor. »Facharzt für Tiefenpsychologie…«
»Aha«, sagte Harry.
»Was meinst du damit?«
»Tiefenpsychologie…« Er nickte vor sich hin. »Das kann auch Hypnose bedeuten.«
»Möglich.«
»Dann lass uns mal reingehen.«
Wir kamen nur bis dicht vor die Glastür. Hätten wir hineingehen wollen, wir hätten sie aufbrechen müssen, denn sie war verschlossen. Allerdings ließ sie einen Blick ins Innere zu, und so sahen wir den Bereich der Anmeldung, der mich an die Lobby eines modernen Fünf Sternehotels erinnerte.
»Schellen wir?«
Ich war dagegen. »Dieses Haus hat auch eine Rückseite, Harry. Mal schauen, was uns dort erwartet.«
»Ich bin dafür.«
Natürlich war der Rasen perfekt geschnitten. Wir hätten auch einen Plattenweg nehmen können, der eine Kurve nach rechts schlug und zur Rückseite führte. Das Gras war uns lieber. Man konnte uns weniger hören, dafür hörten wir etwas. Stimmen schwangen uns entgegen. Nicht laut oder schrill, nein, ganz normal. Hin und wieder war auch ein Lachen zu hören.
Nach ein paar Schritten hatten wir die hintere Ecke des Hauses erreicht, sodass wir die Rückseite des Hauses sahen. Hier gab es Balkone, die wie außen angebrachte Kabinen auf einem Luxusdampfer aussahen. Sonnenschirme waren aufgespannt worden, um die Menschen, die dort saßen, vor den Strahlen zu schützen.
»Hier kann man es aushalten«, meinte Harry.
»Wenn nur der Schein nicht trügt.«
»Genau, John, wie so oft.«
Wir hielten nach Leuten Ausschau, die wir ansprechen konnten. Jemand vom Personal vielleicht, der uns eine Antwort hätte geben können. Es war niemand zu sehen, denn die Patienten, die sich hier im Garten aufhielten, benötigten keine Aufpasser. Mein Blick streifte auch die breiten Balkone. Sie waren teilweise besetzt, auch wenn die Menschen hinter den Sonnenschirmen verschwanden. Wir hörten ihre Stimmen und auch mal Musik.
»Und wo steckt der Professor?«, fragte Harry leise.
»Er macht Pause.«
»Ja, Mittagsschlaf,«
Wir hatten uns während des kurzen Dialogs bewegt. Unser Ziel war ein runder Steintisch mit fünf weißen Metallstühlen davor. Zwei davon waren besetzt. Eine Frau, die einen weißen Sonnenhut trug, hatte es sich bequem gemacht. Die Beine hatte sie ausgestreckt und unter dem Tisch die Sneakers ausgezogen. Wir sahen das Rot ihrer Zehennägel leuchten. Die Frau rauchte und hatte die Zigarette in eine Spitze gesteckt. Ihr gegenüber saß ein Mann, bei dem das dichte weiße Haar auffiel. Sein Körper war zur Seite gesunken. Der Mund stand offen, sodass wir die leisen Schnarchgeräusche hörten. Ich sprach die Frau an. »Pardon, wenn wir stören, aber wir hätten eine Frage.«
Mit einer lässigen Bewegung schnippte sie Asche in einen kleinen Eimer aus Metall und rückte danach ihren Sonnenhut zurecht. Dann richtete sie sich auf und setzte sich so hin, dass sie uns anschauen konnte. Der breite, violett geschminkte Mund verzog sich zu einem Lächeln.
»He, zwei neue Gesichter.« Die Flügel ihrer kräftigen Nase bebten. »Das ist eine Überraschung. Was treibt Sie denn her?«
»Wir suchen den Chef«, sagte Harry.
»Sie meinen den Professor?«
»Wen sonst?«
Die Frau zupfte ihr dunkelblaues Oberteil zurecht und bewegte den Kopf, um sich umsehen zu können. Nach einer Weile sagte sie: »So gern ich Ihnen helfen würde, aber ich weiß nicht, wo sich Professor Olsen aufhält. Im Freien nicht. Bestimmt im Haus in der dritten Etage, denn das ist sein Privatbereich.« Ihre Augen blitzten plötzlich.
»Vielleicht vergnügt er sich gerade mit seiner Assistentin. Diese Diana ist ein heißer Feger.«
»Und seine Geliebte?«
»Kann ich Ihnen nicht sagen, man munkelt so einiges. Aber das ist menschlich. Wir haben ja sonst nichts zu tun und geben uns der gepflegten Langeweile hin.«
»Sind denn in der letzten Zeit neue Patienten angekommen?«, wollte ich wissen. »Ich
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