1672 - Die Insel
es eine lange Nacht werden würde. Und sie wusste ferner, dass auf der Insel etwas geboren wurde, das für die Menschen zu einem wahren Horror werden konnte. Noch war es ruhig, aber die Angriffe würden intensiver werden. Sie stand auf.
»Willst du schon zu Bett gehen?«
Lucy sah in die erstaunten Augen ihres Vaters. »Das hatte ich eigentlich nicht vor. Ich-gehe nur nach oben auf mein Zimmer und setze mich yor die Glotze.«
»Hilft das denn?«
»Zumindest komme ich auf andere Gedanken.«
»Das wünsche ich dir. Ich bleibe noch hier sitzen und lasse die Insel nicht aus den Augen.«
»Tu das.« Sie hauchte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. »Und wenn sich etwas verändern sollte, gib mir Bescheid.«
»Keine Sorge, das werde ich.«
Lucy verließ den Raum. Sie hatte sich in diesem Haus immer so sicher gefühlt. Von Kindesbeinen an. Das war jetzt vorbei. Nun fürchtete sie, dass etwas Schreckliches auf sie zukam, gegen das sie sich nicht wehren konnte…
***
Lucy hätte ihrem Vater nichts Falsches gesagt. Sie hatte das Zimmer in der ersten Etage kaum betreten und die kleine Wandleuchte eingeschaltet, da stellte sie schon den Fernseher an. Ob die Ablenkung ausreichte, um sie von ihren Gedanken wegzubringen, wusste sie nicht. Es war jedenfalls einen Versuch wert. So lieb der Vater ihr auch war, aber die ganze Nacht über mit ihm zusammen zu sein und nur über ein Thema zu sprechen, das behagte ihr nicht. Sie setzte ihre Hoffnung auf den folgenden Tag. Da musste sich einfach etwas tun, Sie glaubte nicht daran, dass die Yard-Leute sie im Stich lassen würden. Sicherheitshalber hatte sie ihre Telefonnummer hinterlassen. Über einen positiven Anruf hätte sie sich gefreut. Er hatte sie nicht erreicht, aber sie machte sich deshalb auch keinen Kopf.
Früher waren es zwei Zimmer gewesen. Aber durch das Herausschlagen einer Wand war ein großer Raum entstanden. Ihn hatte Lucy zweigeteilt. Zum einen benutzt sie ihn als Wohnraum, zum anderen hatte sie sich hier ein Arbeitszimmer eingerichtet, in das natürlich ein modernes Kommunikationsmittel wie ein Computer gehörte. Der Fernseher mit dem Flachbildschirm stand auf einem Glastisch. Lucy hatte nicht unbedingt auf das Programm geachtet und die Kiste einfach eingestellt. Nach einem kurzen Hinschauen sah sie eine Actionszene, in der ein Mann mit seinem Auto von dem Dach eines Hochhauses fuhr, um auf das andere zu gelangen. Das war nichts für sie.
Sie zappte sich weiter, blieb an einer Doku über wilde Tiere hängen und gönnte sich ein Glas Weißwein, der zuvor im Kühlschrank gestanden hatte. Das Getränk tat ihr gut. Sie ließ sich in den bequemen Sessel fallen, legte die Beine hoch und genoss hin und wieder einen Schluck Wein. Das Leben konnte so schön und entspannend sein, wenn es nicht auch die andere Seite gegeben hätte.
Die ließ sie nicht los.
Die Insel und deren Veränderung wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf. Sie schaute auf den Bildschirm, doch ihre Gedanken waren woanders. Je mehr sie über die Insel nachdachte, umso wärmer wurde ihr.
Lucy ging davon aus, dass es erst der Anfang war. Das dicke Ende kam sicher noch nach.
Schlagartig wurde alles anders. Plötzlich verschwand das Bild vom Schirm, dann war ein Rauschen zu hören, danach sah sie auf dem Fernseher nur noch Schnee, und noch in derselben Sekunde fiel das Licht aus, sodass es schlagartig dunkel wurde. Lucy saß plötzlich angespannt im Sessel. Sie hörte ihren Herzschlag, starrte auf das Viereck des Fensters und verkrampfte inner- und äußerlich. Stromausfall! Daran gab es nichts zu rütteln. Aber warum war der Strom gerade jetzt ausgefallen? Okay, so etwas kam auch in den Großstädten vor, doch Lucy verband diese Tatsache mit der Veränderung auf der Insel. Einen Beweis hatte sie nicht, aber in ihrer Lage kam ihr keine andere Erklärung in den Sinn.
Sie wusste nicht, wie lange sie bewegungslos im Sessel gehockt hatte. Bis sie dann von unten her den wilden Fluch hörte, den selbst die geschlossene Tür kaum dämpfen konnte.
Es war ihr Vater gewesen, der geflucht hatte. Sie ging davon aus, dass er bald bei ihr sein würde. Kaum war der Gedanke in ihr hochgezuckt, da hörte sie bereits die Schritte auf der Treppe, und als wenig später die Tür geöffnet wurde, war Lucy schon damit beschäftigt, sich aus dem Sessel zu schwingen.
Im Flackerlicht einer Kerze, deren Flamme von einem bauchigen Glasgefäß geschützt wurde, sah ihr Vater aus wie ein unruhiger Geist. Er konnte auch nicht
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