168 - Das fremde Leben
abzulenken.«
»Das ist wohl wahr, verehrter Mosh'oyot, und deswegen lasst uns doch einen Moment überlegen, ob wir diese beiden Ziele, Angriff und Kräftebindung, nicht schneller und wirkungsvoller erreichen, wenn wir die Großkombacter entweder dicht am Grund in den Seegrasfeldern und Korallenbaumwäldern oder dicht unter der Wasseroberfläche platzieren würden. Wir müssten in diesem Falle nur die Umgebung über oder unter uns im Auge behalten, und würden ungleich mehr Gegner binden, als wenn wir zusammen gegen das Zentrum von Ackh'mans Rotten vorstoßen. Außerdem müsste der Schwarze viele Rotten aus seinem Zentrum abziehen und zu drei verschiedenen Angriffspunkten verlegen. Diese Manöver und die Zeit dafür würden wir ihm ersparen, wenn wir zu dritt seine zentralen Stellungen angreifen.«
»Das hat etwas für sich«, sagte der Erste Kriegsmeister.
»Das klingt sogar gut.«
Mosh'oyot musterte Gilam'esh mit eisigem Blick, entgegnete aber nichts mehr. »Und welche Möglichkeit wäre die günstigere?«, wandte Ulik'suta sich an seinen ehemaligen Schüler. »Durch die Seegrasfelder und Korallenbaumwälder am Meeresgrund oder unter der Wasseroberfläche?«
Eine Testfrage, Gilam'esh merkte es sofort. »Du weißt selbst, was am Klügsten ist, Erster Kriegsmeister: die Korallenbaumwälder, und so dicht am Meeresgrund wie möglich.« Ein wenig befremdete ihn die Frage seines ehemaligen Lehrers. Für solche Spiele, so fand er, war nicht die Zeit. »Dort unten gewinnen wir ein paar Dutzend Längen, weil wir unter den Membranen unserer Steuerzellen höherem Druck standhalten können als die Patrydree.«
»Den Tiefenvorteil könnten wir nicht lange ausnutzen«, wandte Mosh'oyot ein. »Die Korallenbaumhänge steigen zur Hauptstadt der Ikairydree hin steil an. Ikairy'danut selbst liegt nur noch hundertfünfzig Längen unter der Wasseroberfläche. Sobald wir die Sechshundert-Längen-Marke unterschritten hätten, würde der Schwarze jeden Einzelnen von uns mit allem angreifen, was ihm zur Verfügung steht. Und das ist sehr viel, wie ihr alle wisst!«
Es sei denn, er wird an anderer Stelle angegriffen, erklang es in Gilam'eshs Hirn. Einmal mehr erlebte er, wie aufmerksam der Maddrax-Geist mitdachte, wenn er es nur zuließ. Verzichtet auf Feuerschutz, die Schwärme gerieten euch nur in die Schusslinie, raunte die Stimme. Lasst sie lieber an anderen Stellen den Durchbruch in den Kessel versuchen.
»Deswegen sollten wir Ackh'man an drei anderen Stellen mit allen zur Verfügung stehenden Kräften angreifen«, sagte Gilam'esh. »Gleichzeitig müssten unsere Schwärme im Kessel einen Ausbruchversuch unternehmen. Dem Schwarzen werden nicht viele Rotten bleiben, um einen von uns dreien aufzuhalten.«
»Alle zur Verfügung stehenden Kräfte?« Mosh'oyot erhob seine Stimme. »Und wer soll uns Feuerschutz geben?«
»Ich frage mich, ob eine allzu große Eskorte nicht sogar den Einsatz unserer Großkombacter behindern würde, verehrter Kriegsmeister und Hochrat von Dibr'dryn. Wäre es nicht völlig ausreichend, ja sogar ratsam, wenn jeder von uns höchstens ein Dutzend Krieger mit Bullentötern und mobilen Kombactern mit sich nimmt?«
Mosh'oyot von Dibr'dryn schnitt eine finstere Miene. Er starrte auf den Schirm in der weißen Armaturenmembran und wiegte nachdenklich den Schädel hin und her. Du hast ihn überzeugt, raunte die Maddrax-Stimme.
Der Erste Kriegsmeister mustere Gilam'esh aus wachsamen Augen. »So machen wir es. Jeder von uns nimmt eine Eskorte von zwölf Kriegern mit. Zwölf Bullentöter und zwölf Kombacter, falls uns einer ihrer scheußlichen Einhornriesen zu nahe kommt.« Er beugte sich über den Kartenschirm. »Suchen wir drei Stellen aus, an denen wir unter den feindlichen Rotten durchtauchen…«
***
Ein Krieg, eine Schlacht – niemand musste Matthew Drax erklären, was das bedeutete: Kämpfen und Sterben bedeutete das. Zum ersten Mal seit vielen Jahren rückte die Möglichkeit des Todes wieder in seinen Horizont. Nicht
seines
Todes zwar, doch was würde mit seinem Geist geschehen, falls Gilam'esh fallen sollte? Würde auch er sterben? Er konnte es sich kaum vorstellen, dabei wusste er doch genau, dass sein Körper längst verwest war und die Atome und Moleküle, die ihn einst gebildet hatten, inzwischen Teile einer Made oder eines Steines oder eines Gases waren.
Seltsam, aber Matthew Drax wollte nicht, dass sein Wirt starb. Er empfand Angst. Angst um Gilam'esh genauso wie Angst um sich selbst.
Weit
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