1684 - So grausam ist die Angst
sie auch in der Fremde nicht vergessen. Essen und Trinken, gemeinsam feiern, sie war immer ein gern gesehener Gast gewesen.
Doch etwas war ihr aufgefallen.
Man hatte nie über Religion gesprochen. Dabei wusste sie, dass die meisten Russen sehr gläubig waren und diesen Glauben auch nicht verloren, wenn sie in ihre neue Heimat kamen. Da wurden die Kreuze und die Ikonen mitgebracht und aufgehängt.
Das war bei Tamaras Eltern nie der Fall gewesen, und einmal hatte sich Rosy getraut, dieses Thema bei ihrer Freundin anzusprechen.
Tamara hatte sie lange angeschaut und dann gesagt: »Jeder Mensch hat eine Religion. Auch meine Eltern. Sie ist nur anders, verstehst du?«
»Wie anders?«
»Lassen wir das Thema, ich bin zudem nicht so kompetent, um darüber sprechen zu können.«
Damit hatte sich Rosy Mason zufriedengeben müssen, was auch geschehen war. Vergessen hatte sie dieses Gespräch nicht. Dass es ihr ausgerechnet jetzt wieder in den Sinn gekommen war, konnte sie auch als ein gewisses Vorzeichen ansehen …
***
Nein, das war kein Tag wie jeder andere, obwohl wir ganz normal ins Büro fuhren. Der Verlauf war zumindest vom Vormittag her festgeschrieben, denn Suko und ich mussten zu einer Beerdigung. Ein Kollege von uns war gestorben. Man hatte ihn nicht ermordet, er hatte einen normalen Tod erlitten.
Einen Herzschlag. Und das im Urlaub unter südlicher Sonne. Im Pool hatte es ihn erwischt und man rätselte noch herum, wie so etwas hatte passieren können, da Jim Fletcher alles andere als krank gewesen war.
Nach der Untersuchung hatte der Arzt von einem Herzfehler gesprochen, der nicht aufgefallen war, jedenfalls war Jim Fletcher gestorben, und das mit nicht mal vierzig Jahren.
Der Kollege war im Innendienst beschäftigt gewesen, und zwar in der Fahndung. Wir hatten des Öfteren mit ihm zu tun gehabt und waren auch mal auf einer Feier von ihm eingeladen gewesen. Deshalb sahen Suko und ich es als unsere Pflicht an, ihn auf dem letzten Weg zu begleiten.
Den letzten Fall hatte ich dank Glendas Perkins’ Hilfe überstanden, aber er ging mir noch immer durch den Kopf, denn wir hatten uns in die Vergangenheit bewegen müssen, und da war ich plötzlich auf Hector de Valois getroffen, in dessen Besitz mein Kreuz vor mir gewesen war, einem Kämpfer für das Gute, der in mir eine Wiedergeburt erlebt hatte, was auch jetzt noch schwer zu begreifen war, obwohl es sich um eine Tatsache handelte.
Wir hatten den Fall überstanden, und so konnten wir uns wieder um die normalen Fälle kümmern. Suko allerdings war nicht dabei gewesen, er hatte es nur von Glenda und mir erfahren.
Der Wetterbericht hatte eine Veränderung vorausgesagt. Noch war nichts davon eingetroffen. Nur auf den Wetterkarten war das lang gestreckte Tief zu sehen, das uns bald erreichen würde. Zusammen mit Blitz und Donner und auch Starkregen, wie es so schön hieß.
Zu merken war davon an diesem Morgen nicht viel. Nur der Himmel hatte seine Klarheit verloren, und die Sonne sah aus wie ein verwaschener heller Kreis, der hoch am Himmel hing.
Schwül war es. Wind gab es so gut wie kaum. Wenn er auftrat, war das ein erstes Zeichen für einen Umschwung.
Im Büro hatte uns niemand empfangen. Glenda Perkins hatte sich einen halben Tag Urlaub genommen, den ich ihr gönnte. Auf meinen Kaffee verzichtete ich trotzdem nicht. Ich trank ihn in kleinen Schlucken, während Suko ausgedruckte E-Mails las und dabei nachschaute, ob etwas passiert war, das auch uns anging.
Ich schob meine Tasse zur Seite und schaute auf die Uhr. Es war schon recht spät geworden und ich schlug vor, dass wir uns auf den Weg machten.
»Steht der Bus schon bereit?«
»Ich denke schon.«
Die Kollegen hatten einen Bus gechartert, der uns alle zum Ziel brachte. Da musste keiner erst groß in sein Auto steigen und sich den Weg selbst suchen.
Bevor wir nach unten fuhren, schauten wir bei unserem Chef, Sir James Powell, vorbei. Er wusste, wohin wir wollten, und fragte: »Geht es jetzt los?«
»Ja, Sir.«
»Und Sie sind am Nachmittag wieder zurück?«
Ich bestätigte dies.
»Gut. Dann bringen Sie es hinter sich.« Auch er wusste, dass die Teilnahme an einer Beerdigung nicht eben zu unseren Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Aber da musste man durch.
Der Bus stand bereit, die meisten Kollegen waren auch schon da. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Wir nahmen in der Mitte Platz und mussten erleben, dass die Temperatur im Bus bei uns für einen ersten Schweißausbruch sorgte. Auch
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