1688 - Der Killer mit den Mandelaugen
was vor?«
»Nein, John, aber ich denke nicht, dass ich bis zum Abend warten werde. Den Killer mit den Mandelaugen holen wir uns schon vorher, das verspreche ich dir.«
»Dann wollen Sie hinfahren?«, fragte Anita.
»Ja.«
»Nehmen Sie mich mit?«
»Darauf können Sie sich verlassen«, erklärte Suko …
***
Es war für Shao nicht möglich, ihren Zustand genau zu beschreiben. Bewusstlos war sie nicht geworden, aber sie war auch nicht richtig bei sich. Sie fühlte sich starr, paralysiert, lag auf dem Boden und schaffte es nicht, die Schwankungen des Wagens durch eigene Körperbewegungen auszugleichen. Sie wusste aber, was geschehen war, und schalt sich eine Närrin, dass sie sich so hatte überrumpeln lassen.
Aus eigener Kraft konnte sie nichts unternehmen. Sie fühlte sich nicht nur wehrlos, sie war es auch. Nur ihre Sehkraft hatte nicht gelitten, und das Licht war zudem so weich, dass es in ihren Augen nicht schmerzte.
So schaute sie nach vorn und sah nur diese eine Person, die ihre Feindin war. Die Frau saß starr auf der Stelle. Sie kippte nicht um. Der Lotussitz gab ihr genügend Halt, und je länger sich Shao auf sie konzentrierte, umso mehr kam ihr der Gedanke, es nicht mit einem Menschen zu tun zu haben, sondern mit einer Puppe. Dazu passte auch das bleiche Gesicht, das wie gepudert wirkte. Dunkle Brauen, dunkle Pupillen mit auch dunkel geschminkten Lippen bildeten den Gegensatz zu der bleichen Haut. Die Kopfbedeckung hatte Shao ebenfalls noch nicht gesehen. Sie musste einer alten Tradition entsprechen, wobei Shao danach nicht fragte, denn sie bekam Probleme mit ihrer Stimme. Ihr Hals war so trocken, als hätte man ihn mit einem rauen Papier geschmirgelt, und so fiel ihr das Sprechen schwer.
Auch die Bleiche sagte nichts. Sie schaute nur und schien sich an Shao nicht sattsehen zu können, als sich die Chinesin anstrengte, den Kopf zu heben, um einen Blick auf die Bleiche zu werfen.
Dann sprach die Gestalt doch. Genau dann, als Shao den Kopf wieder sinken lassen wollte.
»Endlich bist du bei mir!«
Shao hatte die wenigen Worte gehört, doch sie interessierten sie nicht besonders. Etwas anderes war für sie viel wichtiger gewesen. Beim Sprechen hatte sich der Mund dieser Gestalt bewegt, aber nicht wie bei einem normalen Menschen, sondern eher wie bei einer künstlichen Figur, bei der deren Mund aufklappte und wieder zufiel. Mehr wie bei einem Kasper oder einer Marionette.
Shao musste sich schon anstrengen, um eine Antwort zu geben. Und ihre Stimme klang nicht eben normal, als sie sagte: »Wie soll ich das verstehen?«
»Du bist wichtig.«
»Und weiter?«
»Du bist sogar sehr wichtig.«
»Warum?«
»Denk daran, woher du kommst. An deine Vergangenheit, nur die zählt für mich.«
Es war gut, dass Marcia dies erklärt hatte, denn allmählich lichtete sich der Nebel bei Shao. Dennoch wollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hatte, und fragte nach dem Namen.
»Ich bin Marcia Gay.«
»Aha. Und woher stammst du?«
»Aus Asien.«
Damit konnte Shao nicht viel anfangen. Aber sie dachte wieder an ihre Vergangenheit und ging dabei weit, sehr weit zurück. Ihre Gedanken gingen in die Mythologie, und von dort war es kein großer Schritt mehr zur Sonnengöttin Amaterasu.
Sie wollte den Namen aussprechen, aber Marcia war schneller. Sie streckte die linke Hand aus und griff nach etwas, was auf dem Boden lag und sich mehr in der Dunkelheit versteckt hatte.
Sie hob den Gegenstand an, dann zuckte ihre Hand, und plötzlich verwandelte sich der Gegenstand, der ausgesehen hatte wie ein Zollstock.
Das war er nicht mehr.
Ein Fächer hatte sich aus ihm entfaltet, und den hielt Marcia vor ihr Gesicht.
Shao dachte nicht mehr daran, sich zurücksinken zu lassen. Ihr war klar, dass dieser Fächer eine wichtige Rolle spielte, und deshalb sah sie ihn sich genau an.
Von der Farbe her war er hell. Er zeigte auch keine Bemalungen auf den einzelnen Gliedern.
An den Enden schimmerten gefährliche Stahlspitzen. Als Shao sie sah, stockte ihr der Atem, denn sie dachte daran, dass dieser Fächer zu einem Mordinstrument umfunktioniert worden war. Zudem sah sie wieder Anita Huen vor sich, wie sie ihr ihren nackten und mit Wunden übersäten Oberkörper präsentiert hatte.
Sie erinnerte sich daran, wie verteilt die Wunden gewesen waren, und konnte sich vorstellen, dass der Fächer sie ihr zugefügt hatte.
Noch immer war das Gesicht der Bleichen dahinter verschwunden, und das blieb auch noch eine Weile so, denn als sie
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