169 - Der Vampir mit der Maske
Angst davor haben, ohne Stoff auskommen zu müssen. Manchmal sind sie ein paar Wochen nach erfolgter Behandlung clean - oder sogar ein paar Monate, aber dann geschieht irgend etwas, das sie umwirft, und sie greifen sofort wieder zum Rauschgift, um der Wirklichkeit zu entfliehen.«
Wir näherten uns dem Ausgang des Parks. Dana Guiness’ Gesicht war schmutzig. Sie wäre aber auch so keine strahlende Schönheit gewesen.
Sie hatte zwar hübsche, große Augen, eine niedliche kleine Nase und einen netten Mund mit vollen Lippen, aber all das paßte nicht richtig zusammen, war nur für sich allein schön.
Ich brachte das Mädchen noch durch die Unterführung, weil da auch hin und wieder lichtscheues Gesindel anzutreffen war, und verabschiedete mich auf der anderen Straßenseite von ihr.
»Kommen Sie gut nach Hause«, sagte ich.
»Ja, danke. Sie sind unheimlich nett, Tony. Ich arbeite in einer Boutique in der Oxford Street. ›Bianco‹ heißt sie. Schauen Sie mal vorbei, wenn Sie Lust haben.«
Sie wollte mich Wiedersehen, wünschte sich wahrscheinlich, daß sich zwischen uns etwas anbahnte, aber ich hatte Vicky und war mit ihr glücklich, deshalb sagte ich: »Mal sehen.«
»Würde mich echt freuen«, meinte Dana Guiness. »In welche Richtung müssen Sie?«
»Ich muß noch mal in den Park.«
»Wegen dieses Kerls?«
»Ja«, antwortete ich, aber ich meinte nicht den Junkie, sondern den Vampir.
»Sind Sie etwa Polizist?« fragte Dana.
»Privatdetektiv.«
»Ich bin noch nie einem Privatdetektiv begegnet«, behauptete Dana Guiness und sah mich bewundernd an. Sie hätte sich gern noch weiter mit mir unterhalten, aber ich nahm mir nicht die Zeit dazu, schickte sie mit guten Ratschlägen heim und begab mich wieder in den Park.
Manchmal hat man das beharrliche Gefühl, einen Glückstag zu haben. Man bildet sich ganz fest ein, den Hauptpreis zu gewinnen, wenn man ein Los kauft.
So ähnlich erging es mir an diesem Abend. Ich rechnete fest damit, dem Blutsauger zu begegnen, aber er ließ mich warten, und allmählich verflüchtigte sich das gute Gefühl.
Ich begann zu zweifeln.
***
Nur die Generation der »alten« Vampire verfügte über die Fähigkeit, sich in ein Tier zu verwandeln. Stacc LeVar gehörte zu dieser besonderen Spezies, ihm war es möglich, die Gestalt einer großen Fledermaus anzunehmen und zu fliegen.
Stärker als sein Blutdurst war die Mordgier gewesen. Die hatte er inzwischen befriedigt, und nun flatterte er mit seinen weichen Lederschwingen durch die feucht-kalte Nacht.
Nicht nur seine Größe unterschied ihn von einer normalen Fledermaus; im Gegensatz zu dieser konnte er auch sehen. Er brauchte keine Ultraschalllaute auszustoßen, um sich mit ihrer Hilfe zu orientieren.
Wenn er den Vampirkeim an einen Menschen weitergab, starb dieser und wurde zum nichttoten Blutsauger. Das war die unterste Stufe des Vampirismus.
Die Fähigkeit, sich zu verwandeln, stellte sich erst viel später ein. Aber Zeit spielte für einen Nichttoten keine Rolle. So mancher Mensch rackert, hastet und strebt ungeduldig vorwärts, weil ihm die Lebensuhr im Nacken sitzt.
Für einen Vampir hat sie keine Bedeutung mehr. Er befindet sich jenseits der Zeit. Das Ende, der Tod, liegen hinter ihm.
Er lebt und kann immer leben, wenn er sich an die Regeln hält, die nun für ihn Gültigkeit haben. Als Wesen der Nacht muß er das Sonnen-, licht meiden, fließendes Wasser, Feuer und geweihtes Silber könnten ihn zerstören; er darf keine Kirchen betreten und keine geweihten Kreuze berühren…
Wenn er all diese Dinge und noch einiges mehr beachtet, lebt er ewig.
Stacc LeVar hatte seine Kreise gezogen, um sein neues Jagdrevier kennenzulernen. Von Knightsbridge ausgehend, hatte er die beiden großen, nebeneinanderliegenden Grünflächen Hyde Park und Kensington Gardens überflogen.
Wenn die Menschen so scharfe Augen gehabt hätten wie er, hätten sie ihn über den Dächern von Kensington, Notting Hill, Bayswater und Mayfair sehen können.
Nach dieser Runde flatterte er mit zuckenden Flügelschlägen, die typisch waren für den Flug von Fledermäusen, auf die mächtige Krone eines alten Kastanienbaums zu und verbarg sich darin.
Mit dem Kopf nach unten hing er an einem Ast und wartete auf ein Opfer. Die Dunkelheit schien ihn aufzusaugen, er war nicht zu sehen.
Als er Dana Guiness erblickte, ging ein gieriges Zittern durch seinen Körper. Ein Mädchen allein in diesem Park, das war ein ideales Angebot, das er annehmen wollte.
Aber
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