1692 - Das Denkmal
große Plan zum Scheitern verurteilt. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen. Plötzlich kam ihr der Gedanke, den Portier unten zu alarmieren. Sie wusste, wie sie ihn erreichen konnte.
Zum ersten Mal atmete sie auf. Zwei Sekunden später war der kleine Euphoriestoß wieder verschwunden, denn da wiederholte sich das Geräusch. Diesmal verstummte es nicht. Es nahm sogar an Lautstärke zu, weil es sich ihr näherte.
Ihr Herz schlug schneller. Die Angst sorgte für einen erneuten Schweißausbruch. Vor ihren Augen fing die Welt an zu schwanken. Sie holte scharf Luft, um den Druck in ihrer Brust loszuwerden, was ihr jedoch nicht gelang.
Der Besucher, der unheimliche Gast, tauchte auf. Ada Wells riss den Mund auf, sie wollte schreien, was ihr nicht gelang, denn als sie die Gestalt sah, stockte ihr der Atem.
Das war kein normaler Mensch mehr!
***
Plötzlich war die große Angst verschwunden. Es lag daran, dass sich die Frau auf das Wesen konzentrierte, das vor ihr stand. War das wirklich noch ein Mensch?
Ja, es hatte einen menschlichen Körper. Aber die Person sah aus, als bestünde sie aus Stein. Zumindest, was die Farbe anging. Grau, aber mit einem grünlichen Schimmer dazwischen. Die Farbe hatten auch die Haare übernommen. Eigentlich hätte sich die Person nicht mehr bewegen können. Sie tat es trotzdem, und es war auch kein Knirschen zu hören.
Lange musste Ada nicht mehr nachdenken. Sie sah einen Menschen vor sich, der keiner war. So etwas stand als Denkmal in einem Park und konnte von den Besuchern betrachtet werden.
Aber das war nicht alles, was ihr auffiel. Auf dem Rücken wuchs etwas und ragte an den Seiten hervor. Zuerst konnte sie es nicht identifizieren, doch als sie sich konzentrierte, da musste sie schon schlucken, denn jetzt sah sie die abgerundeten Enden, und dabei kam ihr der Begriff Flügel in den Sinn.
Flügel?
Nur ein kurzes Nachdenken brauchte sie, dann hatte sie die richtige Antwort gefunden.
Flügel gehörten zu den Beigaben, die man eigentlich nur mit einer Gestalt verband.
Mit einem Engel!
Das Blut schoss ihr in den Kopf, als sie daran dachte. Ein Engel in dieser Wohnung! Eine Gestalt mit Flügeln, die sich eigentlich nicht hätte bewegen dürfen, weil sie aus Stein war.
Oder doch nicht? Ada war in diesen langen Momenten völlig von der Rolle. Sie hatte wirklich den Überblick verloren. Das Gefühl der großen Angst war verschwunden, dafür hielt sie eine gewisse Neugierde umfangen.
Sie dachte über Engel nach. Es waren für sie gute Wesen, die gesandt worden waren, um die Menschen zu beschützen. Das passte alles, aber als sie jetzt vor dieser Gestalt stand, kamen ihr Zweifel. Die hatte nichts mit dem zu tun, was man gemeinhin unter Engeln verstand, und doch hatte sie Flügel.
Der Unbekannte ging auf sie zu. Es war kein Knirschen oder Knacken zu hören, was normal gewesen wäre, wenn dieser Eindringling aus Stein bestanden hätte. Aber so war es nicht. Die Gestalt bewegte sich so sicher wie jeder normale Mensch, und es war auch kein Laut zu hören, als sie den Fuß aufsetzte.
Sie dachte an Flucht. Es war nur ein flüchtiger Moment. Sie würde nicht wegkommen. Der Eindringling hatte sie paralysiert, und das war schlimm. Und jetzt musste er nur noch seine Hand ausstrecken, um sie zu berühren.
Davor fürchtete sie sich. Sie hörte sich heftig atmen, und zum ersten Mal blickte sie in die Augen dieser Gestalt.
Leer?
Ja und nein. Da war etwas. Ada konnte es nur nicht beschreiben. Es schien nicht zu dieser Welt zu gehören. Es war der Gruß aus einer anderen Sphäre, wie auch immer.
Und sie sah, dass sich die starren Lippen leicht bewegten und auch offen blieben. Einen Moment später erlebte Ada die nächste Überraschung, denn die Gestalt war in der Lage, zu sprechen.
Die Worte drangen leicht brüchig aus der Kehle und waren auch nicht fließend.
»Du – bist – meine – Botin …«
Sie schüttelte den Kopf.
Er sprach weiter. »Sag – ihm – dass – ich – wieder – da – bin …«
Ada hatte jedes Wort verstanden und regelrecht eingesaugt. Sie würde es nicht vergessen, aber sie konnte auch nicht nicken, denn sie war wie gelähmt.
Und dann fasste er sie an!
Er musste ja nur die Hand ausstrecken. Sie spürte seine Finger an ihrem rechten Arm. Sie schaute hin, sah die starren Greifer, die zugleich beweglich waren, und dann schoss etwas durch ihren Körper, was sie zuvor nicht gekannt hatte. Es war furchtbar. Es war ein Rieseln, ein Kribbeln, ein schwacher
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