17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Stareschin ihn am Bein faßte, denselben kräftig mit dem Fuß von sich ab.
„Allah!“ rief der Beamte. „Das hat noch niemand gewagt! Herbei, ihr Männer! Nehmt ihn vom Pferd und schafft ihn fort!“
Die Männer gehorchten und traten zu dem Lord heran. Aber als sie nach ihm fassen wollten, ergriff er sein Gewehr, legte auf sie an und schrie in einem englisch-türkischen Wortgemisch:
„Away! I atmak! I atmak!“
Er hatte sich gemerkt, daß schießen ‚atmak‘ heißt. Die Angreifenden traten eiligst zurück, und der Stareschin sagte:
„Der Mensch ist toll. Er versteht uns nicht. Wenn wir doch den Dolmetscher hier hätten, um ihm begreiflich machen zu können, daß Widerstand ihm nichts nützt und seine Lage nur verschlimmert!“
Da trat ich zu ihm hin und sagte:
„Verzeihe, Stareschin, daß ich dich in der Ausführung der Obliegenheiten deines Amtes störe. Wenn du eines Dolmetschers bedarfst, so kann ich dir dienen.“
„So sage diesem Pferdedieb, daß er mir in das Gefängnis folgen muß.“
„Pferdedieb? Du irrst dich sehr. Dieser Effendi ist kein Pferdedieb.“
„Er ist einer, denn mein Freund Nirwan hat es gesagt.“
„Und ich sage dir, daß dieser Inglis in seinem Land eine Stellung hat, welche wenigstens ebenso hoch ist, wie hier diejenige eines Pascha mit drei Roßschweifen. Ein solcher Mann stiehlt nicht. Er hat in seinem Stall daheim mehr Pferde, als hier in Rugova vorhanden sind.“
Ich sprach zwar in bestimmtem, aber doch sehr höflichem Ton. Das schien in dem Stareschin die Ansicht zu erwecken, daß ich eine sehr hohe Achtung für sein Amt und seine Person hege und er mir infolgedessen imponieren könne. Also schnauzte er mich an:
„Schweig! Hier gilt nur das, was ich sage! Dieser Inglis hat hier ein Pferd gestohlen und ist ein Dieb, wofür ich ihn bestrafen lassen werde. Sage ihm das!“
„Das kann ich ihm nicht sagen.“
„Warum nicht?“
„Weil es eine Beleidigung sein würde, welche er mir nie verzeihen könnte. Ich will seine Freundschaft nicht verlieren.“
„Also bist du der Freund eines Pferdediebes? Schäme dich!“
Er spuckte vor mir aus.
„Unterlaß das, Stareschin!“ warnte ich ihn. „Ich spreche in Höflichkeit mit dir, und du läßt mich dafür den Speichel deines Mundes sehen! Wenn das noch einmal geschieht, so bediene ich mich einer anderen Sprache, welche deinem Verhalten angemessen ist.“
Das war in bedeutend schärferer Tonart gesagt. Der Schut hatte mich vom Kopf bis zu den Füßen gemustert. Jetzt hustete er und machte eine Handbewegung, welche den Zweck hatte, den Zorn des Stareschin gegen mich zu entflammen. Es gelang ihm, denn das Oberhaupt der Stadt antwortete mir:
„Welche Sprache wolltest du denn führen? Es ist gegen mich nur diejenige der Höflichkeit möglich; jede andere würde ich auf das allerstrengste bestrafen. Ich habe vor dir ausgespuckt, weil du einen Dieb deinen Freund nanntest. Und dazu habe ich ein so gutes Recht, daß ich gleich noch einmal ausspucke. Sieh, das gilt dir wieder!“
Er spitzte den Mund, und ich trat rasch einen Schritt vor, holte aus und gab ihm eine so herzhafte Ohrfeige, daß er zu Boden taumelte. Dann zog ich den Revolver. Meine Begleiter griffen sofort zu ihren Waffen. Auch der Schut zog seine Pistole.
„Weg mit der Waffe!“ herrscht ich ihn an. „Was geht dich diese Ohrfeige an?“
Er gehorchte unwillkürlich. So wie ich, hatte ihn wohl noch niemand angeschrien.
Der Stareschin erhob sich. Er hatte ein Messer im Gürtel stecken. Ich glaubte, er werde es ziehen, um Rache zu nehmen für meinen Schlag. Aber Großsprecher sind ja gewöhnlich, wenn es ernst wird, feige Menschen. Der Mann hatte keinen Mut und wendete sich an den Schut:
„Willst du es dulden, daß ich mißhandelt werde, wenn ich mich deiner Angelegenheit annehme? Ich hoffe, daß du diese Beleidigung, welche eigentlich nur dir gilt, augenblicklich rächen wirst!“
Der Blick des Persers wanderte einige Male zwischen dem Stareschin und mir hin und her. Dieser gewalttätige und gewissenlose Mensch besaß jedenfalls einen hohen persönlichen Mut; aber das Erscheinen der Leute, welche er tot oder wenigstens unschädlich gemacht wähnte, und die nun plötzlich unversehrt vor ihm standen, lähmte seine Tatkraft. Dazu kam unsere selbstbewußte Haltung. Wir hatten die Waffen in den Händen, und es war uns wohl anzusehen, daß dies nicht geschah, um nur zu scherzen. Es kostete ihn sichtlich eine Anstrengung, dem Ortsvorsteher zu
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