17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Worte brachten die beabsichtigte Wirkung nicht hervor. Der Kiaja antwortete:
„Solche Worte hast du nicht zu sprechen! Ich habe nun genug von dir angehört. Wenn du noch eine solche Unhöflichkeit sagst, so bist du es, welcher Schläge bekommt!“
Er hatte kaum ausgesprochen, so flog ihm meine Peitsche vier-, fünfmal so um die Beine, daß er, laut schreiend, ebensoviele Male in die Höhe sprang. Zugleich wurde er von Osco und Omar gepackt. Halef zog auch seine Peitsche aus dem Gürtel und fragte:
„Sihdi, soll ich?“
„Ja, zunächst zehn tüchtige Hiebe auf die Schalwars. Wer euch daran hindern will, bekommt auch zehn.“
Bei diesen letzten Worten blickte ich drohend im Kreise umher. Keiner sagte ein Wort, obgleich sie einander fragend ansahen.
Osco und Omar hielten den Kiaja so fest auf dem Boden, daß sein Sträuben vergeblich war.
„Herr, Effendi, laß mich nicht schlagen!“ rief er jetzt in bittendem Ton. „Ich weiß ja, daß ich dir gehorchen muß!“
„Weißt du das?“
„Ja, gewiß!“
„Und wirst du von jetzt an gehorchen?“
„Ich werde alles tun, was du von mir verlangst.“
„So will ich dir die zehn Hiebe erlassen, aber nicht etwa aus Rücksicht auf dich, sondern aus Achtung für die Männer, welche zugegen sind. Sie sind die Ältesten des Ortes, und ihre Augen sollen nicht durch den Anblick der Peitsche beleidigt werden. Erhebe dich, und bitte mich um Verzeihung!“
Er wurde losgelassen, stand auf, verbeugte sich und sagte:
„Verzeih mir, Effendi! Es wird nicht wieder geschehen.“
Dabei aber sah ich es seinem heimtückischen Blick an, daß er die erste Gelegenheit ergreifen würde, sich an mir zu rächen. Doch antwortete ich in mildem Ton:
„Ich hoffe es! Solltest du dieses Versprechen vergessen, so würde es zu deinem eigenen Nachteil sein. Also sorge dafür, daß wir nicht belästigt werden. Wir müssen aufbrechen erst nach dem Haus des Schut und sodann nach dem Karaul, um die Verwüstung anzusehen, welche dort angerichtet worden ist.“
„Effendi, da muß ich natürlich auch dabei sein; aber ich kann noch nicht soweit gehen“, sagte Stojko.
„So setzt du dich auf dein Pferd. Wir haben dir ja deinen Goldfuchs mitgebracht.“
„Ihr habt –?“
Er sprach nicht weiter. Sein Blick war hinaus auf den Platz gefallen, und ich bemerkte, daß sein Gesicht den Ausdruck freudiger Überraschung annahm. Er eilte an das Fenster und rief hinaus:
„Ranko! Kommt ihr, mich zu suchen? Hier bin ich! Herein, herein mit euch!“
Draußen hielten sechs bis an die Zähne bewaffnete Reiter auf prächtigen Pferden. Auf den Ruf ihres Stammes-Anführers drängten sie ihre Tiere durch die Menge, stiegen ab und kamen herein. Ohne zunächst auf etwas anderes zu achten, eilten sie auf Stojko zu, um denselben herzlichst zu begrüßen. Dann fragte der Jüngste von ihnen im Ton größter Überraschung:
„Du bist hier in Rugova? Seid ihr nicht weiter gekommen? Was ist geschehen? Wo ist Ljubinko?“
„Frage nicht! Denn wenn ich dir antworte, so wird die Rache dir den Dolch in die Hand drücken.“
„Die Rache? Was sagst du? Wäre er tot?“
„Ja, tot, ermordet!“
Da trat der junge Mann einen Schritt zurück, riß das Messer aus dem Gürtel und rief:
„Ljubinko, den ich liebte, dein Sohn, der Sohn meines Vaterbruders wurde ermordet? Sage mir, wo der Mörder ist, daß meine Klinge ihn augenblicklich treffe! Ah, jener Mann hat seinen Panzer an, er ist der Mörder!“
„Halt!“ gebot Stojko, den Zornigen, welcher sich auf Halef werfen wollte, am Arm fassend. „Tu diesem Mann nichts Böses, denn er ist mein Retter. Der Mörder ist nicht hier!“
„Wo denn? Sage es schnell, damit ich hinreite und ihn niederstoße!“
Dieser noch nicht ganz dreißigjährige junge Mann bot das Bild eines echten Skipetaren. Seine hohe, sehnige Gestalt war in roten, mit goldenen Tressen und Schnüren verzierten Stoff gekleidet. Die Füße steckten in Opanken, welche aus einem einzige Stück Leder bestanden und mit silbernen Ketten um den untern Saum der Hosen festgehalten wurden. Sein farbloses Gesicht war scharf geschnitten. Die Oberlippe bedeckte ein starker Schnurrbart, dessen Spitzen er bis hinter die Ohren hätte ziehen können. Seine dunklen Augen hatten den Blick des Adlers. Wehe dem, über welchen der Racheruf dieses Mannes erschallte!
Stojko erzählte, was ihm geschehen war, hier und bei dem Köhler. Der junge Mann hörte schweigend zu. Wer nun einen Ausbruch seines Zornes erwartet hatte, der
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