17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Begnüge dich jetzt daran, daß du gerettet bist. Sieh zu, daß du dich erholst. Laß dir Raki geben, um deine Füße einzureiben, denn ich denke, du wirst sie bald brauchen müssen.“
Und mich an den Mann wendend, welcher ihn geführt hatte, fügte ich bei:
„Warum zeigtet ihr, als ihr uns aus dem Stollen kommen saht, nach der Felsenhöhe empor?“
„Weil da oben etwas passiert ist“, antwortete er. „Der Karaul muß eingestürzt sein; er ist nicht mehr zu sehen. Als wir bereits eine lange Zeit auf euch gewartet hatten, tat es einen entsetzlichen Krach da oben. Wir sahen Staub, Steine und Feuer fliegen. Einige rannten fort, am Fluß entlang bis dahin, von wo aus man den Turm sehen kann. Als sie zurückkehrten, sagten sie, daß er verschwunden sei.“
„Er ist wahrscheinlich zerstört, und mit ihm der Schacht. Der Schut hat eine Mine oder auch einige Minen angebracht, um den Zugang von oben nötigenfalls unmöglich zu machen. Einer von uns kam unvorsichtigerweise mit dem Licht der Zündschnur zu nahe, worauf die Explosion erfolgte.“
„So ist alles zerstört, und man kann nichts mehr von dem Innern des Berges sehen?“
„Diesen Vorteil hat der Schut doch nicht davongetragen. Nur der Schacht ist verstopft. Durch den Stollen aber kann man hinein. Es ist sehr leicht, die Marterkammern zu erreichen, in denen er seine Opfer quälte.“
Jetzt kamen allmählich alle ‚Ehrwürdigen des Ortes‘ wieder zusammen.
Wie mochte es dem Schut zumute sein! Dieser Mensch zuckte mit keiner Miene, nicht mit den Spitzen des Schnurrbartes. Er befolgte das Verhalten eines Käfers, welcher sich in der Nähe seiner Feinde totstellt. Beim Käfer geschieht dies aus Todesangst; beim Menschen aber ist jedenfalls die Scham eine der Ursachen, und dies ließ mich von dem Schut nicht mehr gar so schlecht denken wie vorher. Freilich war es nicht das richtige Scham- und Ehrgefühl, welches ihm die Augen schloß.
Die Männer umringten und betrachteten ihn. Der ehrwürdige Alte fragte:
„Was ist mit ihm? Er bewegt sich nicht, und seine Augen sind geschlossen. Ist etwas mit ihm geschehen?“
„Jok, jok!“ antwortete Halef schnell. „Nein, nein! Er schämt sich.“
Selbst diese laut und höhnisch gesprochenen Worte brachten keine Bewegung in den Mienen des Schut hervor.
„Er schämt sich? Das ist unmöglich! Schämen kann sich nur jemand, der etwas Lächerliches begangen hat. Die Taten dieses Mannes sind nicht lächerlich, sondern grauenhaft. Ein Teufel kann keine Scham empfinden. Er hat sich hier bei uns eingeschlichen und uns während langer Jahre getäuscht. Die letzten Tage und Stunden seines Lebens müssen ihm den Vorhof der Hölle bieten. Herr, du bist es, der ihm die Maskera (Larve, Maske) abgerissen hat; du sollst nun auch bestimmen, was mit ihm zu geschehen hat.“
Da drängte sich der Stareschin an uns heran und sagte:
„Du erlaubst wohl, daß ich dir darauf die Antwort gebe. Freilich sagtest du, ich hätte das Amt des Muchtahr (Dorfschulze) erhalten, weil kein anderer es haben wollte; wir wollen auch gar nicht darüber streiten, ob dies wahr ist; aber da ich es nun einmal habe, so muß ich auch die Pflichten desselben erfüllen. Darum hat darüber, was jetzt mit Kara Nirwan geschehen soll, kein anderer zu bestimmen, als nur ich allein. Wer mir das abspricht, der handelt gegen das Gesetz.“
„Deine Worte klingen gut“, meinte der Alte. „Wir wollen aber sehen, ob der Effendi damit zufrieden ist.“
„Ich werde zufrieden sein, wenn der Muchtahr nach dem Gesetz handelt, auf welches er sich stützt“, antwortete ich.
„Ich werde ganz genau nach demselben handeln“, versicherte der Genannte.
„Nun, so laß hören, was du beschlossen hast!“
„Zunächst müssen dem Perser die Fesseln abgenommen werden.“
„Ah! Warum?“
„Weil er als der Reichste und Vornehmste des Dorfes eine solche Behandlung nicht gewöhnt ist.“
„Diese Behandlung widerfährt ihm als Mörder und Räuber, nicht aber als dem angesehensten Mann von Rugova!“
„Es ist noch keineswegs erwiesen, daß er das getan hat, wessen du ihn beschuldigst.“
„Nicht? – Wirklich nicht?“
„Nein, denn daß ihr ihn in dem Schacht getroffen habt, das beweist gar nichts.“
„Aber hier stehen drei Zeugen, drei Männer, welche beschwören können, daß er sie eingekerkert hat!“
„So ist erst nach ihrem Schwur seine Schuld bewiesen; ich aber bin nur ein einfacher Muchtahr und darf ihnen diesen Schwur nicht abnehmen. Bis dahin hat
Weitere Kostenlose Bücher