17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
und durch dieselbe hinaus. Ja, es war so! Da links rannten sie über das Feld, und rechts jagte der Schut auf einem Pferd von dannen. Das Pferd war ein Rappe. Trotz des Zornes, welcher mich erfüllte, und trotz der Aufregung, in welcher ich mich befand, hing mein Auge bewundernd an dem Tier – breite, feste Sehnen, hohe, schlanke Gliedmaßen, stark ausgebildete Hinterhand, tiefe Brust, dünner Leib, langer, waagrecht getragener Hals, sehr kleiner Kopf – alle Wetter, das war ein englisches Vollblut! Wie kam ein solches Tier hierher nach Rugova?
Ich war voll Bewunderung über die Eleganz und Schnelligkeit, mit welcher es dahinflog. Ich dachte kaum an den Reiter – an den Reiter, ah! Er durfte nicht fort. Ich riß den Stutzen an die Wange, um scharf zu zielen. Würde ich ihn noch treffen? Er war für die Kugel des Stutzens bereits zu weit.
Da blitzte etwas vor meinen Augen empor. Es war ein Messer, mit welchem einer der an mir vorübereilenden Feinde ausholte, um mich niederzustechen. Ich hatte nur noch Zeit, zur Seite zu springen; er aber erhielt an Stelle des Schut meine Kugel, und zwar in die rechte Schulter.
„Zurück auf den Hof!“ rief ich dem Engländer zu. Er und Galingré sprangen mir, ohne auf die Feinde noch zu achten, nach, zur Pforte wieder hinein, zwischen dem Vorratshaus und dem sechsten Stall hindurch nach dem Hof. Dort hielt Halef auf ungesatteltem Pferd.
„Der Schut entflieht, auf einem Rappen, nach dem Dorf zu“, antwortete ich atemlos. „Eile ihm nach, daß er nicht etwa am Konak absteigt und unsern Rih stiehlt. Suche zu erfahren, welche Richtung er von Rugova aus eingeschlagen hat! Jedenfalls reitet er gegen Skutari hin, um Hamd el Amasat zu erreichen und der Frau Galingré ihr Geld abzunehmen, denn hier darf er sich nicht mehr sehen lassen.“
„Allah ist groß, und ihr seid dumm gewesen!“ meinte der Kleine. „Wie weit soll ich dem Halunken folgen?“
„Nur so weit, bis du genau weißt, welchen Weg er eingeschlagen hat. Dann kehrst du um. Das übrige ist dann meine Sache. Laß dich aber nicht zu Übereilungen verleiten!“
Er drängte sein Pferd zur Seite und jagte auf das Tor zu und schrie schon von weitem:
„Macht auf!“
Ranko sah an meinem Winken, daß auch ich dasselbe verlangte, und riß den Riegel zurück und das Tor auf. Im nächsten Augenblick brauste der Hadschi hinaus – nicht mitten unter die draußen stehenden Leute hinein, wie ich geglaubt hatte; denn sie standen nicht mehr da.
Ich war ihm nachgesprungen. Als ich am Tor ankam, sah ich, daß die Leute nach dem Dorf rannten. Sie hatten den Schut hinter der Mauer hervorkommen sehen; sie wußten also, daß er frei sei, und eilten hinter ihm her. Ich selbst konnte ihn nicht mehr sehen, da ihn die Buschreihen verdeckten, welche die Felder abgrenzten. Aber Halef verschwand auch schon hinter diesen Sträuchern.
„Effendi“, fragte Osco, „ist der Schut entkommen?“
„Ja! aber wir erwischen ihn wieder. Kommt herein! Wir dürfen uns nicht lange hier aufhalten. Das, was wir noch zu tun haben, muß schnell geschehen.“
Die ‚Väter des Dorfes‘ waren nicht mitgelaufen. Ich erzählte ihnen den Vorfall, und sie sagten nichts dazu. Es schien ihnen sehr lieb zu sein, daß der Schut entkommen war. Selbst der ehrwürdige Alte atmete wie erleichtert auf und fragte:
„Herr, was wirst du nun tun?“
„Den Schut fangen“, antwortete ich.
„Und dabei stehst du so ruhig? Wer einen andern fangen will, der muß doch eilen!“
„Ich eile bereits, nur nicht in der Weise, in welcher du es meinst.“
„Er muß dir doch entkommen, da sein Vorsprung schon ein so großer ist.“
„Habe keine Sorge! Ich hole ihn noch ein.“
„Und dann bringst du ihn hierher zurück?“
„Nein. Dazu habe ich keine Zeit.“
„Aber du mußt doch als Ankläger oder Zeuge gegen ihn auftreten!“
„Dazu sind andere da. Das kann ich überhaupt euch überlassen. Ihr wißt, daß der Perser der Schut ist. Er hat es in eurer Gegenwart eingestanden. Nun ist es an euch, ihn bei seiner Rückkehr zu bestrafen. Und wenn ihr es nicht tut, wird Stojko es an eurer Stelle tun.“
„Ja, das werde ich ganz gewiß“, sagte der Genannte. „Sobald er sich hier wieder sehen läßt, gehört er mir.“
„So lange warte ich nicht“, sagte sein Neffe. „Der Effendi will ihn fangen, und wir begleiten ihn.“
„Darüber sprechen wir noch“, antwortete ich. „Jetzt folgt mir einmal nach dem Jazlyk.“
Wir begaben uns dahin. Dort ließ ich den
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