17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
eingesteckt und den Stutzen in die Hand genommen. Schießen wollte ich nicht; zum Gebrauch des Kolbens war derselbe zu schwach – ich hätte ihn leicht zerbrechen können; darum führte ich meine Stöße gegen die Feinde mit dem Lauf aus.
Das ging alles so schnell, daß vom Erscheinen dieser Menschen bis jetzt nicht eine einzige Minute vergangen war. Sie waren überzeugt gewesen, uns zu überrumpeln und augenblicklich unschädlich machen zu können. Daß es ganz anders kam, und zwar so außerordentlich schnell, das verblüffte sie. Es war, als ob sie gar keine Hände und Waffen zur Gegenwehr hätten. Einer drängte den andern hinaus. Alle kehrten uns den Rücken zu. Es hatte sie geradezu ein panischer Schreck erfaßt.
„Du, dur, kalyn – atyn – sokyn – halt, halt, bleibt stehen: schießt, stecht!“ ertönte draußen die zornige Stimme des Schut.
Vorhin hatte er verboten, die Waffen zu gebrauchen. Jetzt kam sein Befehl zu spät. Wir hatten die Kerls vor uns auf der Flucht und durften ihnen nicht Zeit lassen, sich festzusetzen oder umzuwenden.
Der Engländer schrie bei jedem Hieb mit seinem Hammer: „Schlagt sie tot! Haut sie nieder! Well!“
„Hajde, sa-usch, dyschary – fort, weiter, hinaus!“ schrien die Kerls, von denen einer den andern vorwärts drängte. „Kurtulyniz, geldirler, geldirler – rettet euch: sie kommen, sie kommen!“
Es war beinahe zum Lachen. Diese fürchterlichen Leute des Schut, wenn auch mit ihm nur noch neunzehn an der Zahl, rissen vor uns dreien aus. Alles schrie, die Pferde wurden scheu, wieherten und schlugen aus; es waren Augenblicke der größten Verwirrung.
Ich aber dachte nur an einen, an den Schut. Sollte er mir abermals entkommen? Die Mauer war so hoch, daß er sie nicht ersteigen konnte. Er mußte zwischen den Stallgebäuden in den Hof zurück, um durch das Tor zu entfliehen. Das war der einzige Weg, wie ich dachte, und dort hielten ja nicht nur die berittenen Skipetaren strenge Wache, sondern auch Halef stand in der Nähe. Der Hadschi schoß ihn jedenfalls lieber nieder, als daß er ihn durch das Tor ließ.
Aber ebenso standen dort, innerhalb und außerhalb des Tores, die Leute von Rugova. Nahmen diese sich des Persers an, so bekamen wir einen harten Stand.
Diese Gedanken flogen mir durch den Kopf, indem ich mit dem Lauf des Gewehres auf die Fliehenden einstieß. Ich bin überzeugt, daß jeder dieser Stöße noch nach Monaten zu fühlen war. Da schlug von der linken Seite her ein Pferd aus. Der hochgeschleuderte Huf traf zwar nicht voll auf, aber er strich mir doch so kräftig an der Schulter vorüber, daß ich niederstürzte.
Ich raffte mich auf und wollte weiter, da aber ertönte hinter mir die helle Stimme des Hadschi:
„Sihdi, was ist los, was gibt es? Ich hörte die Schüsse deines Revolvers und dann das Schreien. Sag, was es gegeben hat!“
Eben waren die Fliehenden durch die Hintertür verschwunden, Lindsay und Galingré mit ihnen. Halef sah sie nicht mehr, sondern mich allein.
„Wir wurden überfallen“, antwortete ich hastig. „Der Schut ist wieder frei. Ich treibe ihn dir in die Hände. Suche dir hier schleunigst das beste Pferd aus und reite ihn nieder, wenn ich ihn dir zujage. Schnell, schnell! Ich darf mich nicht aufhalten, sonst kommt der Kampf zum Stehen, und das könnte sehr schlimm für uns werden.“
Ich lief fort, durch die hintere Tür hinaus und auf die lang zwischen den beiden Mauern sich hinziehende Düngerstelle. Ich hatte richtig vermutet. Die Fliehenden machten Miene, sich zur Wehr zu setzen.
„Immer drauf, Sir!“ rief ich dem Lord englisch zu. „Wir dürfen sie nicht zum Stehen kommen lassen.“
Da erhob er seine Stimme und seine beiden Arme und sprang mitten unter die Feinde hinein. Dann kam ich dazu. Galingré hielt sich wie ein Held. Sie wandten sich wiederum um und eilten davon, wir hinter ihnen her, am nächsten Stall vorüber, welcher Nr. 5 hatte, dann an Nr. 6 vorbei – der Schut und die vordersten waren nicht zu sehen gewesen.
Als wir um die Ecke des sechsten Stalles bogen und nun an die zweite Seite des Hofvierecks kamen, an welchem das zweite Vorratshaus stand, sah ich hart am Giebel desselben eine offene Pforte. Sie war nicht zwanzig Schritte von uns entfernt, und die Fliehenden rannten auf dieselbe zu.
Sollte der Schut bereits da hinaus sein? Dann war guter Rat teuer. Ich tat einige Sprünge, welche mich mitten in die Flüchtigen hineinbrachten, stieß sie auseinander, schnellte auf die Pforte zu
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