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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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noch eine Antwort zu geben. Eine kleine Bewegung seiner Daumen, ein kräftiger Druck derselben, und Hamd el Amasat stieß ein Geheul aus, wie ein verwundeter Panther, und ließ die Hände von dem Hals seines Gegners los, denn dieser hatte ihm – beide Augen ausgedrückt.
    Der Verletzte fuhr sich mit den Händen nach den Augen und hielt nicht inne mit seinem Gebrüll. Er war verloren, denn nun konnte Omar ihn bequem erwürgen. Die Szene, welche nun folgen mußte, war zu entsetzlich; ich wendete mich und ging zur Tür hinaus. Meine ganze Seele wollte sich gegen dieses Geschehnis aufbäumen. Dieses Blenden und dann Abwürgen des Feindes kam mir geradezu diabolisch vor; aber konnte man Mitleid mit einem Menschen wie Hamd el Amasat haben, welcher schlimmer als ein Teufel gehandelt hatte? Gibt es nicht irgendwo ein hochzivilisiertes Volk, bei welchem es das eifrige Bestreben der Preisboxer ist, einander die Augen auszustoßen, und die Lords, Gentlemen und Ladies kommen gelaufen und zahlen – fünfzig, hundert und noch mehr Dollar oder Guineen, um sich dieses herrliche Schauspiel anzusehen und auf den Ausgang des Kampfes um den Gesamtbetrag von Hunderttausenden zu wetten!
    Draußen stand die Sonne hell und strahlend über dem Horizont. Ich dachte an die Worte des heimatlichen Dichters:
    „Herrlich tritt die Sonn' auf ihre Wolke,
Doch den Wahn, der Menschen noch betört,
Strahlt sie nicht hinweg von diesem Volke,
Welches ewig, ewig sich zerstört.“
    Drin in der Stube war es ruhig geworden. Das Brüllen hatte aufgehört. War Hamd el Amasat nun tot? Da ging die Tür auf, und Omar kam heraus.
    „Ist's zu Ende?“ fragte ich schaudernd.
    Er hatte das Messer und die Pistolen wieder im Gürtel stecken. Der Kampf mußte also vorbei sein.
    „Ja“, antwortete er. „Die Rache ist vollendet, und die Seele meines Vaters wird befriedigt auf mich niederblicken. Ich darf nun meinen Bart scheren und in die Moschee zum Gebet gehen, denn das Gelübde, welches ich auf dem Schott tat, ist nun erfüllt.“
    „So schafft die Leiche fort! Ich mag sie nicht sehen.“
    „Diese Leiche brauchen wir nicht fortzuschaffen. Sie wird gehen, wohin es ihr beliebt.“
    „Wie? Er ist nicht tot? Er lebt noch?“
    „Ja, Sihdi. Ich dachte an dich und daran, daß du die Tötung eines Menschen verabscheust. Ich habe Hamd el Amasat nur geblendet. Als er dann hilflos vor mir stand, konnte ich es nicht über mich gewinnen, ihn zu töten. Er mag sein dunkles Leben langsam zu Grab schleppen. Er hat das Licht seiner Augen verloren und wird nun keinem Menschen mehr schaden können. Und jetzt ist ihm noch eine Zeit gegeben, sich seiner Taten zu erinnern und sie zu bereuen. Habe ich recht gehandelt?“
    Was sollte ich antworten? Ich erinnerte mich daran, daß hochstehende christliche Rechtslehrer die Forderung stellten, die Verbrecher zu blenden, weil man sie dadurch ohne sie zu töten, für die menschliche Gesellschaft unschädlich mache. Ich nickte stumm und kehrte in die Stube zurück.
    Unter der Tür begegnete mir der Wirt, welcher mit Hilfe des Knechtes Hamd el Amasat herausführte, um ihn am Brunnen mit Wasser zu kühlen.
    „Es ist vorüber, Herr!“ rief Halef mir entgegen, „und wir sind einverstanden, daß der zehnfache Mörder nicht getötet worden ist. Das Leben wird für ihn schlimmer sein als der Tod. Was aber soll nun mit den Bewohnern dieses Newera-Khan geschehen? Sie sind mit dem Schut einverstanden gewesen.“
    „Laßt sie laufen! Sie gehen uns nichts an. Es ist mehr als genug geschehen! Mir graut vor diesem Land. Beeilen wir uns, es zu verlassen! Ich mag es niemals wiedersehen!“
    „Du hast recht, Herr. Auch ich habe nicht Lust, länger an diesem Ort zu bleiben. Unsere Pferde stehen draußen. Reiten wir fort!“
    So schnell ging das freilich nicht. Galingré ritt nicht weiter mit uns, er kehrte um; ebenso Ranko, welcher die Wagen bis Rugova begleiten wollte. Da gab es noch vieles zu besprechen. Und dann wollte keiner der erste sein, welcher das Wort des Abschieds in den Mund nahm.
    Ich ging indessen hinaus zum Brunnen. Es erschien mir nicht menschlich, Hamd el Amasat den unkundigen Händen des Wirtes zu überlassen. Aber kaum hörte der Verletzte meine Stimme, so schleuderte er mir Flüche und Verwünschungen entgegen, welche mich augenblicklich umkehren ließen. Ich wanderte eine Strecke in die lautlose Morgenstille hinein. Kein Vogel ließ sich hören, kein Geräusch gab es rings umher. Das war der geeignete Ort zum Insichschauen;

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