17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
ungefährdet die Stelle, an welcher wir damals Mittagsrast gemacht hatten. Wie damals hatten wir auf der einen Seite den Fluß, auf der andern die mit Ahorn-, Kornelbäumen, Platanen und Kastanien bestandene sanfte Anhöhe, und vor uns erhob sich jener Felsenrücken, dessen zerklüftete Krone der Ruine einer alten Ritterburg sehr ähnlich war.
Die Gefährten wollten nun gleich nach der Stelle reiten, an welcher der Kampf stattgefunden hatte; ich gab dies aber nicht zu, da ich vorher rekognoszieren wollte. Sie mußten also zurückbleiben; ich aber stieg vom Pferd und schlich mich in der betreffenden Richtung weiter. Als ich den Platz erreichte, war auch da nicht die geringste Spur zu sehen; aber die Höhe des Grases, welches hier stand, machte mich bedenklich. Darum sagte ich, als ich zu meinen Begleitern zurückgekehrt war:
„Ich halte es für geraten, den Platz des Kampfes nicht aufzusuchen. Das Gras wächst dort so hoch und dicht, daß es, wenn wir es niedertreten, sich vor zwei oder drei Tagen nicht wieder aufrichten kann; es ist da vollständig unmöglich, unsere Spuren zu verwischen.“
„Meinst du wegen der Bebbehkurden?“ fragte Amad el Ghandur.
„Ja.“
„Die sind doch nicht zu fürchten!“
„Nicht? Haben sie uns damals nicht den größten Schaden getan?“
„Damals waren es wohl vierzig Mann; jetzt zählen sie nur zehn oder zwölf.“
„Weißt du, daß auch heute nur so wenig kommen werden? Ist es denn unmöglich, daß ihr Trupp in diesem Jahr ein bedeutender sein kann?“
„Das würde nichts schaden, denn wir sind vorbereitet, was wir damals nicht waren.“
„Wir haben aber doch beschlossen, jeden Kampf zu vermeiden!“
„Das haben wir, ja; aber es ist doch nicht nötig, uns vor diesen Hunden zu fürchten. Du bist zu ängstlich, Emir. Wir wissen ja gar nicht, ob sie heute auch kommen werden. Sind wir hierher gekommen, um uns nicht an die Hauptstelle zu wagen? Ich muß den Ort sehen, an welchem das Blut meines Vaters geflossen ist. Ich würde hinreiten, und wenn tausend Kurden sich dort befänden. Vorwärts also!“
Er war bisher so ruhig gewesen; nun aber wirkte die Nähe des unglücklichen Platzes, auf ihn ein; die schreckliche Erinnerung erregte ihn; er trieb sein Pferd weiter, und die andern folgten ihm; ich konnte nicht allein zurückbleiben, rief ihm aber zu:
„Ihr habt damals den Tod deines Vaters selbst verschuldet; wenn ihr jetzt wieder so unvorsichtig seid, bitte ich euch, die Verantwortung dessen, was darauf folgen kann, nicht auf mich zu wälzen.“
„Habe keine Sorge“, rief er mir zurück; „es wird nichts geschehen. Und wenn etwas geschähe, so werden wir die Schuld dir nicht geben.“
Wir ritten auf dem Wiesenrand am Fluß hin, bogen um die Krümmung des Höhenzuges und waren an Ort und Stelle. Rechts von uns befand sich der Felsen, an welchem ich die kämpfenden Perser erblickt hatte. Vor uns gab es die Stelle, an welcher Amad el Ghandur die Feinde mit dem Kolben von sich abgewehrt hatte, den toten Vater zu seinen Füßen liegend. Links davon war Gasahl Gaboya von meinem Halef niedergeschossen worden, und seitwärts von dieser Stelle war ich mit dem Pferd niedergebrochen. Näher am Wasser sahen wir die Gräber der Kurden liegen. Es war ihnen anzusehen, daß sie von Zeit zu Zeit – also wohl immer am Jahrestag – ausgebessert und aufgeschüttet worden waren.
Amad el Ghandur stieg vom Pferd und kniete auf die Erde nieder, welche das Blut seines Vaters getrunken hatte; die andern folgten, außer mir und Lindsay, seinem Beispiel, sie beteten. Dann, als sie sich wieder erhoben hatten, erklärte der Scheik ihnen an Ort und Stelle den Verlauf des Kampfes. Das benutzte der Lord, mir die Bemerkung zu machen:
„War ein schrecklich dummer Tag damals. Habe zwei Finger eingebüßt, also, da ich bloß zehn hatte, grad zwanzig Prozent. Ist das nicht ein wenig viel, Sir?“
„Gewiß“, nickte ich. „Aber das war wohl noch nicht alles. Hattet Ihr nicht auch noch eine Blessur, so da in der Nähe des Verstandes?“
„Yes. Hatte etliche Haare und ein Stück Knochen eingebüßt, ungefähr da, wo man im Kopf sein bißchen Vernunft zu haben pflegt.“
„Da ging wohl auch so ein Stück von dieser Vernunft mit flöten?“
„Glaube es nicht, Sir, obgleich ich viel leichter als Ihr einen solchen Verlust ertragen könnte; habe davon grad so viel Überfluß, wie Euch davon fehlt. Well!“
Er wendete sich lachend von mir ab.
Ich hatte mich im stillen darüber gewundert,
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