17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Oheim von väterlicher Seite, genannt.
Als wir zum erstenmal bei Mamrahsch eingekehrt waren, hatten wir von ihm erfahren, daß sich nicht viele Dschiafkurden, zu denen er gehörte, in der Nähe befanden, vielmehr hatte der Stamm der Bilba sich aus Persien herüber in die Nähe gezogen. So stand es auch noch am heutigen Tag.
„Und die Bebbeh?“ fragte ich ihn. „Wo haben diese jetzt ihre Weideplätze?“
„Zwischen Persien und dem Zagrosgebirge“, antwortete er.
„Also ziemlich weit von hier. Sind vielleicht in letzter Zeit welche hier in der Umgegend gewesen?“
„Bei mir nicht; aber eine Tagesreise von hier pflegt jährlich ein Trupp von ihnen Rast zu machen.“
„Ach, wirklich? Mit solcher Regelmäßigkeit?“
„Ja. Jährlich einmal, ich glaube, um die jetzige Zeit lagern sie dort.“
„Wie groß ist ihre Anzahl?“
„Immer zehn oder zwölf Mann.“
„Was tun sie dort?“
„Sie scheinen ein Id el Amwat (Totenfest) zu feiern.“
„So? Gibt es Gräber dort?“
„Ja, mehrere; sie liegen am Ufer des Djalahflusses. Die Hügel bestehen aus Erde; droben aber auf der Felsenhöhe gibt es ein einzelnes Grab, welches aus Steinen errichtet ist.“
„Kennst du es?“
„Ja; ich bin einmal oben gewesen.“
„Ist es gut erhalten?“
„Sehr gut. Es sind nur einige Steine entfernt worden, so daß man in das Innere blicken kann. Da sieht man den Toten sitzen, welcher nicht verwest, sondern vertrocknet ist wie eine Mumija (Mumie) in Ägypten. Er hat einen sehr langen, silbergrauen Bart.“
„Hast du eine Ahnung, wer er gewesen sein mag?“
„Genau weiß ich es nicht, denn als ich im vorigen Jahr oben war, war sein Gesicht so eingetrocknet, daß die eigentlichen Züge nicht mehr vorhanden waren, aber ich glaubte, es sei der Scheik, der ehrwürdige Greis, welcher damals mit euch bei mir gewesen ist.“
„Das hast du ganz richtig erraten. Es ist Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn. Dieser Krieger hier ist Amad el Ghandur, sein Sohn und Nachfolger. Wir sind gekommen, ihm die ‚Ehren der Verstorbenen‘ zu erweisen. Ist sein Grab hier in der Gegend bekannt geworden?“
„Ja. Es pilgern viele Gläubige hinauf zur Höhe. Ich hörte erzählen, der Tote habe mit den Bebbehkurden gekämpft und so viele von ihnen getötet, wie unten am Wasser in den Gräbern liegen, sei dann aber durch die Überzahl überwunden worden.“
„Auch dies ist in der Hauptsache richtig. Da wundert es mich aber, daß diese Kurden bei ihren jährlichen Besuchen sich nicht an diesen Toten und seinem Grab vergriffen haben.“
„Was denkst du, Herr! Sie sind zwar Diebe und Räuber, aber auch gläubige Moslemim, und kein wahrer Gläubiger schändet ein Grab, selbst wenn es das eines seiner ärgsten Feinde wäre. Der Prophet hat dies streng verboten; es steht im Koran geschrieben.“
„Nicht da steht es geschrieben, und nicht Mohammed hat es verboten, sondern Samakhschari, der Erklärer, hat gesagt, daß derjenige, welcher das Grab eines Gläubigen schändet, am jüngsten Tag das seinige nicht verlassen dürfe und also nicht in den Himmel kommen könne.“
„Seid Ihr dabei gewesen, Herr, als er getötet wurde?“
„Ja.“
„Darf ich erfahren, wie es geschehen ist? Ich möchte es sehr gern wissen, weil er doch mein Gast gewesen ist.“
Diese Gelegenheit, sein Erzählertalent leuchten zu lassen, ließ sich Halef natürlich nicht entgehen. Er ergriff sofort das Wort, um zu berichten, was am Todestag Mohammed Emins geschehen war.
Diese braven Leute taten wieder alles, um uns den Aufenthalt bei sich so angenehm wie möglich zu machen, und wurden darum, als wir sie am andern Morgen verließen, abermals reichlich beschenkt.
Gegen Mittag erreichten wir den berühmten Schamianweg, welcher Sulimania mit Kirmanschah verbindet, und gingen über den Garranfluß. Am folgenden Morgen kamen wir in die Nähe des Djalah, an dessen Ufer Mohammed Emin damals gefallen war. Da sich meine Vermutung, daß die Bebbeh die Gräber der Ihrigen besuchten, bewahrheitet hatte, so galt es nun, außerordentlich vorsichtig zu sein. Sie konnten schon hier sein, weil heute der elfte Haziran und morgen also der Jahrestag jenes siegreichen und für uns doch so unglücklichen Kampfes war.
Da ich Halefs Knaben nicht der Gefahr aussetzen wollte, ritt ich jetzt allein voran. Die andern mußten mir einzeln und in gewissen Abständen folgen. So sehr ich meine Augen anstrengte, ich konnte keine Spur eines menschlichen Wesens entdecken. Wir erreichten ganz
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