17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
daß Halef sich die Gelegenheit entgehen ließ, den Haddedihn den Verlauf des Kampfes zu erklären, und dies vielmehr dem Scheik überließ. Er war mit seinem Sohn an die Gräber der Kurden getreten, stand mit gefalteten Händen da und bewegte die Lippen im Gebet.
„Du betest?“ fragte ich ihn, mich erstaunt stellend.
„Ja, Sihdi, ich und Kara Ben Halef, mein Sohn, haben auch hier gebetet.“
„An den Gräbern eurer Feinde?!“
„Nein, denn die Toten sind unsere Feinde nicht mehr; der Christ kennt überhaupt keine Feinde, er haßt keinen Menschen, sondern er liebt sie alle, alle; das hast du mich ja selbst gelehrt.“
„Was hast du gebetet? Die Fatiha?“
„Nein. Wer diese betet, ist ein Mohammedaner, und kein solcher betet am Grab seines Feindes. Ich und mein Sohn haben als Christen hier gestanden und das heilige Abuna (Vaterunser) gebetet, welches ich von dir gelernt habe. Hanneh, die Perle unter den Frauen und Müttern, pflegt es auch mit uns zu beten. Wunderst du dich etwa darüber?“
„Nein, denn ich weiß, daß das Wort Gottes wie ein kleines Samenkorn ist, welches, in die Erde gelegt, sich zu einem Baum entwickelt, der mächtig und zugleich lieblich anzuschauen ist und immer neue Früchte und Samen entwickelt. Du hast ein solches Korn von mir empfangen; es wächst in dir und wird Früchte bringen. Gib die Samen davon weiter, mein guter Halef! Dann wirst du Gott Wohlgefallen und viele, viele glückliche Menschen machen.“
„O, das weiß ich, Effendi; ich bin ja selbst so sehr glücklich geworden. Weißt du noch, was für Mühe ich mir gegeben habe, dich zum Islam zu bekehren? Ich habe da manch ein Wort gesprochen, welches wie der zweite Kopf eines Kamels war, das doch nur einen haben kann. Du hast dazu gelächelt und bist, wenn ich dann zornig wurde, immer gut und freundlich geblieben. Diese deine Güte hat mich besiegt. Ein einziges warmes Wort von dir hat mehr gewirkt, als alle meine langen Reden wirken konnten. Der Islam ist die Soka (Distel), die nur auf dürrem Boden wächst, das Christentum aber die Nachla (Palme), welche hoch in die Lüfte ragt und viele Früchte bringt. Der Islam gleicht der Wüste, in welcher es nur hier und da einen Brunnen gibt, der schlechtes Wasser hat, das Christentum aber einem schönen Land mit mächtigen Bergen, auf deren Höhen Glocken erklingen, und schönen Tälern, in denen Ströme fließen, welche Wälder und Felder und Gärten nähren und an deren Ufern Städte und Dörfer stehen, deren Bewohner gute und folgsame Kinder ihres himmlischen Vaters sind. Daß ich dieses weiß, habe ich dir zu danken; es sollen es aber auch von mir noch viele, sehr viele erfahren.“
Jetzt gingen wir, die Pferde an den Zügeln führend, nach dem Ort, an welchem wir nach dem Kampf mit den Persern gelagert hatten. Ich dachte an das ‚Haus‘, welches mich und Halef mit allen möglichen Delikatessen versehen hatte, und dabei war es mir, als ob jener süße, orientalische Duft mich heute wieder umwehe. Welch ein schreckliches Ende hatten diese guten Menschen dann da unten auf dem Weg der Todeskarawane gefunden!
Dann stiegen wir hinauf zur Felsenhöhe. Da standen noch die Reste der Hütte des Sorankurden; er war nicht zu ihr zurückgekehrt, weil er dann Amad el Ghandurs Begleiter gewesen war und die Rache der Bebbeh zu fürchten hatte. Unweit davon erhob sich auf der Felsenplatte das Grabmal des Scheiks. Es war, wie sein Sohn damals zu mir gesagt hatte: „Die Sonne begrüßt den Ort früh, wann sie kommt, und abends, wann sie geht.“ Es war noch in gutem Zustand, aber an der Westsüdwestseite waren, wie Mamrahsch gesagt hatte, mehrere Steine herausgenommen worden. Amad el Ghandur trat hinzu und blickte hinein. Er fuhr zurück und schrie:
„Maschallah, mein Vater! Sollte seine Seele noch nicht von ihm gewichen sein!“
Als dann ich in die Öffnung sah, konnte ich diesen Ausruf recht wohl begreifen. Da saß der Scheik noch grad so, wie wir ihn hineingesetzt hatten, mit weit über die Brust herabwallendem Bart und gefalteten Händen. Sein Gesicht war tief eingefallen, aber recht wohl zu erkennen. Welchem Umstand oder welchen chemischen Einflüssen diese Erhaltung der Leiche zuzuschreiben war, das weiß ich nicht, aber der Anblick war von einer außerordentlichen, unbeschreiblichen Wirkung; ich mußte noch nach Monaten immer an ihn denken, und noch heute ist es mir, als ob ich die Mumie des edlen Greises noch vor mir in den Steinen sitzen sähe.
Die Haddedihn kamen einer
Weitere Kostenlose Bücher