17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Kartoffel- und Gurkenschalen und abgeschnittenen Fingernägeln zu bestehen. Denke man sich dazu einen Menschen, der sich durch das Waschen zu erkälten fürchtet, und eine Nacht in der durchräucherten Bude Junaks und auf dem verpesteten Sterbelager des Mübarek zugebracht hat, so wird man es sehr erklärlich finden, daß ich mich nicht an seiner Seite niederließ.
„Halef“, – fragte ich so laut, daß der Konakdschy es hörte – „was ist das wohl für ein Strich, welcher hier durch das Gras geht?“
„Das ist eine Fährte, Sihdi“, antwortete der Gefragte, stolz darauf, die von mir erworbenen Kenntnisse auskramen zu dürfen.
„Von einem Tier oder von einem Menschen?“
„Um das entscheiden zu können, muß ich sie mir genau betrachten.“
Er ging, die Augen scharf auf die Fährte gerichtet, mehrere Schritte auf derselben fort und sagte dann kopfschüttelnd:
„Effendi, das kann ein Mensch, aber auch ein Tier gewesen sein.“
„So! Um das zu wissen, braucht man sie gar nicht anzusehen. Natürlich ist es ein Mensch oder ein Tier gewesen. Oder ist es etwa möglich, daß zum Beispiel der Palast des Großherrn in Konstantinopel hier spazierengegangen ist?“
„Willst du meiner spotten? Ich wette, daß es auch dir unmöglich ist, zu bestimmen, wer es gewesen ist. Komm selbst her!“
„Um das zu bestimmen, brauche ich gar nicht hinzukommen. Hier ist ein Mensch barfuß gegangen.“
„Wie willst du das beweisen?“
„Sehr leicht. Kann diese Fährte von einem vierbeinigen Geschöpf getreten sein?“
„Allerdings nicht.“
„Also ist's ein Mensch oder ein zweibeiniges Tier, ein Vogel gewesen. War dieser Vogel groß oder klein?“
„Groß natürlich.“
„Welches ist der größte Vogel, welcher hier gegangen sein könnte?“
„Das würde der Lejlek (Storch) sein.“
„Richtig! Der Lejlek aber geht langsam und bedächtig. Er hebt ein Bein nach dem andern hoch auf und macht gravitätische Schritte. Man müßte die einzelnen Schritte erkennen. Ist dies hier der Fall?“
„Nein. Derjenige, welcher hier ging, hat keine Tapfen gemacht, sondern mit jedem Bein eine immerwährende Linie durch das Gras gezogen.“
„Ganz recht. Die Fährte besteht nicht aus einzelnen Fußeindrücken, sondern aus einer ununterbrochenen Doppellinie. Die Beine des Storches sind höchstens fingerdick; diese Linien aber sind breiter als die Spanne einer Menschenhand. Ist es also möglich, daß selbst der größte hiesige Vogel, der Storch, hier gegangen sein kann?“
„Nein, Sihdi. Es ist gewiß ein Mensch gewesen.“
„Nun weiter! Du selbst behauptest, keine Fußeindrücke gesehen zu haben. Je älter die Fährte ist, desto vertrockneter muß das abgeknickte und niedergetretene Gras sein. Es ist aber kein einziger Halm auch nur welk geworden. Was ist daraus zu schließen?“
„Daß die Fährte noch sehr jung ist.“
„Gewiß. Man müßte also unbedingt die Fußeindrücke sehen. Woran liegt es wohl, daß man sie dennoch nicht sieht?“
„Das kann ich leider nicht sagen.“
„Nun, das liegt teils an der Schnelligkeit, mit welcher dieser Mann gegangen ist, und andernteils an der Weichheit seines Fußes. Er hat Eile gehabt und ist mehr mit den Zehen als mit der Ferse aufgetreten. Stiefel und Schuhe haben harte Sohlen, welche eine scharfe Fährte machen. Da diese Schärfe fehlt, so hat der Mann keine Fußbekleidung getragen; er ist barfuß gewesen. Willst du das nun einsehen?“
„Wenn du es in dieser Weise erklärst, muß ich dir recht geben.“
„Jawohl habe ich recht. Wer mag nun wohl dieser eilige und barfüßige Mann gewesen sein? Konakdschy, ist dieser Wald bewohnt?“
„Nein, kein Mensch wohnt da“, antwortete der Gefragte.
„So vermute ich, daß der Kohlenhändler Junak eine ganz falsche Richtung eingeschlagen hat. Er wird aus Versehen nicht nach Glogovik, sondern nach dem Scheïtan kajaji, nach dem Teufelsfelsen, kommen.“
„Herr, was denkst du! Ein solcher Irrtum kann bei ihm gar nicht vorkommen.“
„Nun, so tat er es mit Absicht. Er hat unterwegs geglaubt, sein Salz an keinem andern Ort kaufen zu können.“
„Ganz gewiß nicht. Wärt ihr nicht im Schlaf gewesen, so hättet ihr ihn fortgehen sehen.“
„Nun, Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, daß während der Nacht ein Mann aus dem Haus getreten und hinter demselben verschwunden sei. Nach welcher Richtung er sich aber gewendet habe, das hat Halef nicht unterscheiden können.“
„Das wird freilich Junak gewesen sein, denn er
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