17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
ging, als es noch dunkel war, um nicht spät am Tag zurückzukehren.“
„So hat er in der Dunkelheit sich geirrt und ist anstatt nach links nach rechts gegangen. Vielleicht ist das mit Absicht geschehen, und da ich aus der Spur erkenne, daß er große Eile gehabt hat, so mag er wohl den Wunsch hegen, unser Kommen bei dem Köhler so bald wie möglich anzumelden.“
„Du machst dir da ganz sonderbare Gedanken, Effendi“, sagte der Konakdschy in großer Verlegenheit. „Was geht es Junak an, daß wir bei dem Köhler ausruhen wollen?“
„Ich begreife es freilich auch nicht.“
„So wirst du zugestehen, daß er es unmöglich gewesen sein kann.“
„Ich behaupte ganz im Gegenteil, daß er es war. Ich werde es dir sogar beweisen.“
„Das ist unmöglich. Etwa aus den Spuren?“
„Ja.“
„Die können dir, wie ich zu meinem Erstaunen gesehen habe, wohl sagen, daß ein Mensch hier gegangen sei, nicht aber, wer dieser Mensch gewesen ist.“
„Sie sagen es mir sogar sehr deutlich. Erhebe dich, und komm einmal mit.“
Ich schritt nach dem Ufer des Flüßchens, und die andern folgten. Da, wo der Mann in das Wasser gegangen war, hatte er langsam und vorsichtig mit den Füßen getastet. Der Grund des Wassers war am Ufer weich; man sah weder Sand noch Steine auf demselben. Desto deutlicher aber erkannte man die Spuren der Füße in dem klaren, hier anderthalb Fuß tiefen Wasser.
„Sieh her, Konakdschy“, sagte ich. „Erblickst du die deutlichen Fußtapfen unter dem Wasser?“
„Ja, Effendi. Und ich sehe auch, daß du ganz richtig vermutet hast: der Mann ist barfuß gewesen.“
„Vergleiche doch einmal die Spuren der beiden Füße miteinander. Findest du keinen Unterschied?“
„Nein.“
„Nun, glücklicherweise haben sich die Zehen scharf eingetreten. Vergleiche nochmals! Zähle sie!“
Er bückte sich nieder, wohl aber nicht um zu zählen, sondern um sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Er befand sich in bedeutender Verlegenheit.
„Was sehe ich!“ rief der Hadschi. „Dieser Mann hat am linken Fuß nur vier Zehen gehabt! Sihdi, es ist Junak gewesen und kein anderer.“
Der Führer hatte seine Verlegenheit bemeistert und erhob sich wieder, indem er sagte:
„Kann nicht auch ein anderer eine Zehe verloren haben?“
„Gewiß“, antwortete ich, „aber ein sehr eigentümlicher Zufall müßte es doch genannt werden. Welche Absicht verfolgt dieser Junak damit, daß er uns täuscht?“
„Er ist es ja gar nicht!“
„Nun, um seinetwillen will ich das hoffen. Wenn er etwa irgendeine Hinterlist plant, so wird er Salpeter anstatt des Salzes bekommen, vielleicht auch noch Schwefel und Holzkohle dazu. Weißt du, was das bedeutet?“
„Ja, aber ich verstehe dich dennoch nicht. Aus diesen drei Stoffen wird Barut (Schießpulver) gemacht. Meinst du das?“
„Gewiß, und wenn sich dabei ganz zufälliger Weise noch ein rundes Stück Blei befindet, so kann es sich sehr leicht ereignen, daß er, der jedenfalls nach dem Teufelsfelsen will, auch wirklich in die Hölle fährt. Ist dieses Wasser tief?“
„Nein. Die Pferde brauchen nicht zu schwimmen. Man kann ganz gut mit aufgestreiften Hosen hindurch. Wollen wir wieder aufbrechen?“
„Ja; es ist bereits mehr als eine Viertelstunde vergangen. Wohin führt dann jenseits des Wassers der Weg?“
„Siehst du den dunklen, senkrechten Strich, welcher sich da drüben in der Felswand befindet?“
„Ja.“
„Das ist die Öffnung einer schmalen Schlucht. Sie wird die Teufelsschlucht genannt, weil sie zum Teufelsfelsen führt. Da hinein reiten wir.“
„Und wie lange dauert es, bevor wir zu dem Felsen kommen?“
„Mehr als eine halbe Stunde. Du wirst staunen über die Felsenmassen, welche sich zu beiden Seiten der Schlucht befinden. In dieser engen Spalte kommt man sich vor wie ein kleiner Wurm zwischen himmelhohen Mauern.“
„Und führt dann kein anderer Weg nach West?“
„Nein, es gibt nur diesen einen.“
„So sind wir gezwungen, ihm zu folgen. Vorher aber will ich doch noch einmal versuchen, die Spuren derjenigen zu finden, welchen wir nachreiten. Im Gras sind sie vielleicht noch zu erkennen.“
Meine Vermutung hatte mich nicht getäuscht. Nur wenig weiter aufwärts waren die fünf Pferde in das Wasser gegangen. Ein weiteres Suchen hatte keinen Zweck, und so durchkreuzten wir denn das Flüßchen und hielten dann auf den Eingang der Schlucht zu.
Er hatte nur diejenige Breite, welche zwei Reitern gestattete, sich nebeneinander zu halten.
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