17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
Später traten die Felswände weiter zurück.
Das war eine erschreckliche kompakte Felsenmasse, ein ungeheurer, mehrere hundert Fuß hoher Würfel plutonischen Gesteins, in welchen eine unterirdische Gewalt diesen Spalt mitten hindurch gerissen hatte. Wenn man emporblickte, schien es, als ob die Wände sich mit ihren oberen Rändern vereinigten. Es war weder rechts noch links möglich, an ihnen emporzukommen. Sie waren nackt, und nur hier und da gab es eine Stelle, an welcher ein Strauch oder ein einzelner Baum ein Plätzchen für die Bedürfnisse seines Fortkommens gefunden hatte.
„Glaubst du nun, daß der Scheïtan diesen Riß mit seiner Faust geschlagen hat?“ fragte unser Führer.
„Ja, es ist ein höllischer Weg. Man möchte sich zusammenducken wie ein kleines Insekt, über welchem der hungrige Vogel schwebt. Rasch vorwärts!“
Der Konakdschy hatte sich bisher in unserer Mitte gehalten. Jetzt strebte er, voranzukommen. Um diesen Zweck zu erreichen, drängte er sich an Halef und Osco vorüber, welche vor uns ritten.
Dies ließ mich vermuten, daß wir uns der Stelle näherten, welche für uns verhängnisvoll werden sollte. Er wollte der vorderste sein, um sein beabsichtigtes Manöver mit dem Pferd ausführen zu können.
Und plötzlich kam uns ein helles Wasser entgegen, ganz seicht und schmal, welches hart an der Seite des Weges floß und in einem Loch der Felsenwand verschwand. Und zugleich bemerkten wir, daß oben die Wände noch weiter auseinanderrückten. Uns zur Linken wich der Fels um eine ziemlich breite Stufe zurück, welche mit Busch und Baum bewachsen war; aber hinaufkommen konnte man hier unmöglich. Diese Stufe hatte ungefähr die Höhe von fünfzig Fuß, und der Kohlenhändler hatte gesagt, daß man fünfzig bis sechzig Schritt im Wasser hinaufzusteigen habe. Dieser Felsenabsatz war also jedenfalls gemeint gewesen.
Ich hatte bereits vor unserm Aufbruch, als wir die Pferde sattelten, den Gefährten gesagt, wie sie sich verhalten sollten. Auch sie merkten dem Terrain an, daß wir uns in der Nähe der betreffenden Stelle befanden. Sie warfen mir heimlich fragende Blick zu, und ich nickte zustimmend.
Das kleine Bergwässerchen floß uns still entgegen; bald aber hörten wir lautes Plätschern. Wir erreichten die Stelle, an welcher es aus der Höhe kam. Es hatte eine Ader weicheren Gesteins tief ausgefressen und einen Ritz gebildet, in welchem es von Stufe zu Stufe herunter rieselte.
Das war die richtige Stelle. Der aus- und herabgespülte feine Steingrus hatte sich zu beiden Seiten angehäuft und mit der Zeit die Eigenschaft erhalten, Pflanzen zu ernähren. Da gab es allerlei Kräuter und Stauden, welche die Kühle und das Wasser lieben, auch Farn, an welchem diese Gegend überhaupt sehr reich zu sein schien. Ungefähr in doppelter Reiterhöhe war eine dieser Farnstauden halb ausgerissen worden. Ich hielt mein Pferd und blickte hinauf.
„Kommt doch!“ forderte uns der Konakdschy auf, da auch die Gefährten angehalten hatten.
„Warte einen Augenblick!“ sagte ich. „Komm einmal zurück! Ich möchte dir etwas Überraschendes zeigen.“
Er kam herbei.
„Du mußt absteigen“, forderte ich ihn auf, indem ich den Sattel verließ.
„Warum?“
„Du kannst es dann besser sehen.“
„Aber wir versäumen unsere Zeit!“
„Du hast es ja heute noch niemals so notwendig gehabt. Das scheint ein sehr geheimnisvolles Wasser zu sein.“
„Wieso?“ fragte er neugierig und ahnungslos.
Ich stand am Fuß der kleinen Kaskade und betrachtete die unteren Stufen derselben. Er sprang ab und trat zu mir. Auch die andern stiegen von den Pferden.
„Sieh dir da oben dieses Farnkraut an! Fällt es dir nicht auf, daß es ausgerissen ist?“
„Nein, gar nicht.“
„Ich meine, es ist jemand da hinaufgestiegen, hat sich dabei an der Pflanze festhalten wollen und sie aus der Erde gezogen.“
„Der Sturm wird es gewesen sein.“
„Der Sturm? Hier, wo wir uns wie im Innern der Erde befinden, hat es niemals Sturm oder auch nur Wind gegeben. Nein, es ist ein Mensch gewesen.“
„Was geht uns das an?“
„Sehr viel sogar, denn es war ein Bekannter von uns.“
„Unmöglich! Wer denn?“
„Junak.“
Er verfärbte sich, als ich diesen Namen nannte.
„Effendi, was hast du nur mit Junak? Er ist ja nach Glogovik!“
„Nein, er ist da oben. Hier unten, wo das Wasser den Weg erreicht, hat sich der Spülsand angehäuft. Dieser Junak ist ein sehr unvorsichtiger Bursche. Wenn er uns wissen läßt,
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