17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
getroffen zu werden, denn er schrie herab:
„Sihdi, schieße nicht! Er muß hinab. Paß auf!“
Ich sah, daß er die Arme von seinem Gegner ließ. Dieser tat dasselbe und trat zur Seite, um Atem zu schöpfen. Da machte auch Osco eine Seitenwendung, um Barud zwischen sich und den Abgrund zu bekommen. Er erhob die Faust, als ob er demselben einen Hieb auf den Kopf versetzen wollte; aber das war nur eine Finte, denn als Barud beide Arme hoch vorstreckte, um den Hieb zu parieren, bückte sich Osco blitzschnell und stieß ihm die Faust gegen den Magen. In demselben Augenblick warf er sich zu Boden, um nicht von dem Gegner erfaßt und mit hinabgerissen zu werden.
Was er beabsichtigte, war ihm gelungen. Barud el Amasat taumelte nach hinten, wollte sich am Körper seines Feindes halten, griff aber über denselben hinweg in die Luft und stürzte herab. Er schlug neben der Leiche Manachs nieder. Ich wendete mich schaudernd ab.
Oben sprang Osco wieder auf, beugte sich vor, um den Körper Baruds zu sehen, und rief in triumphierendem Ton:
„Senitza ist gerächt. Dieser Mann wird niemals wieder die Tochter eines Freundes stehlen. Seine Seele fährt in einen tieferen Abgrund, als derjenige ist, in welchen sein Leib gestürzt ward. Bleibe unten, Effendi! Ich komme hinab.“
„Wo befinden sich die andern?“ rief ich hinauf.
„Noch da, wo wir sie verlassen hatten. Es vermag keiner, sich zu befreien; dafür habe ich gesorgt.“
Er trat oben von dem Rand zurück, und ich begab mich an den Wasserquell, wo sein Pferd stand. Nach einiger Zeit kam er herabgestiegen. Noch ehe ich meinen Verweis beginnen konnte, kam er mir zuvor: „Sihdi, sprich nicht davon! Es ist geschehen und kann nun nicht geändert werden. Ich habe meinen Grimm im stillen getragen. Dein Glaube verbietet dir die Rache; aber auf den Bergen meiner Heimat herrscht das Gesetz der Vergeltung. Allah hat es gegeben, und wir müssen es befolgen.“
„Nein, Allah hat es nicht gegeben“, entgegnete ich. „Du nennst ihn in deinen täglichen Gebeten Abu 'l afu und Naba 'l merhamet, den Vater der Vergebung, den Quell der Barmherzigkeit; wie kann es da sein Wille sein, daß du ihm das Richtertum entreißest! Barud el Amasat hatte dir die Tochter geraubt, aber er hat sie nicht getötet. Selbst wenn du glaubtest, berechtigt zu sein, gleiches mit gleichem zu vergelten, so durftest du ihm nicht das Leben nehmen.“
„So sagst du als Christ. Ja, er hat Senitza nicht getötet, aber er verkaufte sie als Sklavin, und was sie in Ägypten erduldet hat, das weißt du besser als ich, da du es warst, der sie befreite. Das war doch viel schlimmer, als ob er sie ermordet hätte! Und dazu kommt das Leid, welches er mir und Isla Ben Maflei dadurch bereitet hat. Ich habe sie in allen Ländern des Islam vergebens gesucht. Ihr Entführer hat den Tod verdient, und er hat ihn sehr schnell gefunden. Die wenigen Augenblicke der Todesangst, welche er empfunden hat, sind gar nichts gegen die lange Trauer, welche er über uns brachte!“
„Aber einen Mord, einen gräßlichen Mord hast du doch begangen!“
„Nein, Sihdi, es war kein Mord, sondern ein ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann und Leben gegen Leben. Ich habe ihn nicht meuchlerisch überfallen. Ich konnte ihn töten, als er an den Baum gefesselt war; aber ich habe ihn losgebunden und auf die Bastei geschafft. Dort befreite ich seine Arme und Beine von den Fesseln, warf meine Waffen weg und sagte ihm, daß die Stunde der Vergeltung gekommen sei. Ich teilte ihm mit, daß ich edelmütig gegen ihn sein und ihm Gelegenheit geben wolle, sich gegen den Tod zu wehren. Ja, ich habe ihn eine Zeitlang sogar geschont. Ich bin stärker, als er war, obgleich du vielleicht das Gegenteil glaubtest. Erst als ich sah, daß du schießen wolltest, wobei deine Kugel mich treffen konnte, machte ich Gebrauch von meiner Überlegenheit. Wirst du mich jetzt noch tadeln?“
„Ja, denn du hast hinter meinem Rücken gehandelt.“
„Das mußte ich, denn ich wußte, daß du mich hindern würdest, ihn zu strafen.“
„Aber indem du ihn losbandest, wirst du auch die Fesseln der andern gelockert haben?“
„Nein, ich habe sie im Gegenteil fester angezogen, als sie vorher waren. Es ist ihnen unmöglich, sich selbst zu befreien. Ich weiß, daß du mir zürnest; ich habe das vorausgesehen, und ich bin bereit, deinen Zorn über mich ergehen zu lassen. Aber ich habe den Schwur gehalten, welchen ich ablegte und den ich nicht brechen wollte. Tue mit mir, was du
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