17 Tante Dimity und die Dorfhexe Dorfhexe (Aunt Dimity and the Village Witch)
ich es nicht gekauft, sondern geschenkt bekommen.«
Wir durchquerten sein prächtig eingerichtetes Schlafzimmer und betraten den angrenzenden Raum, den ich seit der frühesten Phase der Renovierung nicht mehr gesehen hatte. Damals waren die vier Wände noch kahl gewesen. Jetzt war es der persönlichste Ort im ganzen Haus.
Willis senior hatte sein privates Wohnzimmer nicht mit exquisiten Antiquitäten ausgestattet, sondern mit persönlichen Stücken, die er aus seinem Haus in Boston mitgebracht hatte, darunter ein alter Ledersessel und eine Ottomane, die sich seiner Körperform angepasst zu haben schien, ein Vitrinenschrank mit Erinnerungsstücken und Pokalen, die sein Sohn als Kind errungen hatte, ein Mahagonibücherschrank voller Familienfotos und Büchern und ein edelsteinfarbener Perserteppich, der, wenn mich meine Erinnerung nicht trog, in der Bibliothek der Willis’schen Villa gelegen hatte.
Als ich zu meiner Rechten eine Landkarte der Arktis aus dem neunzehnten Jahrhundert in einem kunstvoll geschnitzten Holzrahmen erblickte, entfuhr mir ein überraschtes Keuchen. Die Landkarte hatte ich Willis senior geschenkt, noch bevor ich wusste, dass ich seine Schwiegertochter werden würde. Ich war gleichermaßen entzückt wie verblüfft, sie inmitten der übrigen Schätze in seinem Allerheiligsten hängen zu sehen.
» Dort ist das Bowen-Bild«, sagte Willis senior ruhig.
Ich drehte mich um und hielt erneut den Atem an.
Es war ein kleines, schlichtes Aquarell: drei lila Krokusse, die aus dem Schnee ragten. Die Blüten waren zerzaust und der Schnee war mit Erde beschmutzt, aber gerade diese scheinbar störenden Elemente machten das Bild lebendig. Ich hatte das Gefühl, als würden sich die Krokusse bewegen, als sähe ich zu, wie sie aus der gefrorenen Erde und durch die Schneedecke stießen, sich der Sonne entgegenreckten, um als Vorboten des Frühlings die Dunkelheit des Winters zu besiegen. Die Blumen würden ebenfalls besiegt werden, schien das Bild zu sagen, aber solange sie lebten, würden sie freudig die Arme zum Licht strecken.
Wortlos stand ich minutenlang vor dem Aquarell, bevor ich, mehr zu mir selbst, sagte: » Bill hatte recht. Es ist mehr als hübsch. Seine Schönheit bricht einem schier das Herz.«
» Ja«, sagte Willis senior, » man muss die Geschichte, die dahintersteht, gar nicht kennen, um seine Kraft zu spüren.«
» Charles nannte Mae Bowen ein Genie, aber ich hatte keine Ahnung…« Ich drehte mich zu meinem Schwiegervater um. » Wer hat es dir geschenkt?«
» Jane. Meine Frau.«
» Ach«, sagte ich sanft und wandte den Blick von ihm ab. Ich hatte das Gefühl, heilige Erde betreten zu haben.
Willis senior war schon seit vielen Jahren Witwer, als ich ihn kennenlernte. Er sprach nur selten von seiner Frau, und ich respektierte seine Verschlossenheit, weil ich spürte, dass sie von seiner Trauer rührte. Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, alte und vermutlich schmerzliche Erinnerungen bei ihm aufgewühlt zu haben. Ich wünschte, ich hätte ihn nicht gebeten, das Bild anschauen zu dürfen.
» Es gibt keinen Grund, deinen Blick abzuwenden, Lori«, sagte er. » Meine Augen sind inzwischen trocken.«
» Bill hat mir nicht gesagt, woher das Bild stammt«, murmelte ich unbehaglich.
» Er hat es dir nicht gesagt, weil es nicht seine Sache ist, es dir zu erzählen. Ich würde das jetzt gern selbst tun, wenn du mir dein Gehör schenken möchtest.«
Er bedeutete mir, mich auf die Ottomane zu setzen, während er selbst in dem Lesesessel Platz nahm. Mir fiel auf, dass das Aquarell direkt gegenüber an der Wand hing. Ich fragte mich, wie oft er von seiner Lektüre aufsah und es betrachtete.
» Ich war zehn Jahre älter als meine Frau«, begann er zu erzählen, » aber sie war schon als junge Frau weiser, als ich es je sein werde. Ehe sie mit zweiunddreißig an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte und drei Monate später starb, war sie ein unermüdliches Energiebündel.«
» Das hat mir Bill erzählt«, sagte ich leise. » Tut mir leid.«
» Manche sagten, dass ihre Tod eine Gnade für sie war«, fuhr Willis senior fort, » aber ich habe Jane nicht als kranke Frau in Erinnerung. Woran ich mich erinnere, sind ihre strahlenden Augen und ihr bezauberndes Lächeln. Ihr Körper war von der Krankheit gezeichnet, gewiss, aber ihr Geist leuchtete bis zum Schluss. Und vor allem dieses Leuchten ist mir in Erinnerung geblieben.«
» Es ist wunderbar, dass du sie so in Erinnerung behalten konntest«,
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