17 Tante Dimity und die Dorfhexe Dorfhexe (Aunt Dimity and the Village Witch)
seinen Computer auf und begann zu tippen. » Ich hätte dich vorgewarnt, Lori, aber…«
» Es war nicht an dir, mir die Geschichte zu erzählen«, sagte ich und nickte. » Es ist okay. Ich bin froh, sie von ihm persönlich gehört zu haben.«
» Wie erging es dir mit dem Bild?«, fragte Bill.
» Es hat mir den Atem verschlagen. Wahrhaftig. Ich glaube, ich kann durchaus verstehen, warum sich manche Menschen übermäßig für Mae Bowens Kunst begeistern. Sie sieht die Welt mit ganz besonderen Augen.« Ich zögerte, ehe ich hinzufügte: » Dein Vater würde sie gern kennenlernen.«
» Dann werden wir sie ihm eben vorstellen«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
» Natürlich, warum nicht. Wenn jemand ein Geheimnis wahren kann, dann William.«
Der Laptop gab ein » Pling« von sich. Bill blickte auf den Bildschirm und dann entschuldigend zu mir.
» Eine Mail von Gerard Delacroix«, sagte er. » Der neueste Nachtrag zu seinem Testament, das wohl niemals fertig werden wird. Besser, ich schenke ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«
» Nur zu«, sagte ich und stand auf. » Ich bin im Büro.«
» Viel Spaß bei deiner Sitzung«, sagte er und zwinkerte mir zu.
Lächelnd ging ich über den Flur. Bill gehörte zu der Handvoll Menschen, die über das eigentümliche Buch Bescheid wussten, das ich auf dem Regalbrett neben dem Kaminsims im Arbeitszimmer aufbewahrte. Das Buch war– und wurde noch immer– von der früheren Besitzerin des Cottages geschrieben. Ihr Name war Dimity Westwood, und ihre Geschichte bewies unumstößlich, dass die Wirklichkeit oftmals kurioser ist als erfundene Geschichten.
Dimity Westwood war die beste Freundin meiner verstorbenen Mutter gewesen. Die beiden Frauen hatten sich in London kennengelernt, als sie während des Zweiten Weltkriegs ihrem jeweiligen Land dienten, und das Band der Freundschaft, das sie während jener dunklen und nervenaufreibenden Jahre geflochten hatten, wurde auch nach Kriegsende nicht durchtrennt.
Nachdem der Krieg vorbei und meine Mutter in die Staaten zurückgekehrt war, hielten sie und Dimity die Freundschaft am Leben, indem sie einander Hunderte von Briefen über den Atlantik hin und her schickten. Als mein Vater völlig unerwartet starb, wurde diese Brieffreundschaft für meine Mutter zur Zuflucht von ihrem harten Alltag als Vollzeitlehrerin und alleinerziehende Mutter einer äußerst lebhaften Tochter.
Und diesen Hort der Zuflucht hütete sie wie ihren Augapfel. Sie erzählte niemandem davon, nicht einmal mir. Als Kind kannte ich Dimity Westwood nur als Tante Dimity, die Heldin in einer Reihe von Gutenachtgeschichten, die sich meine Mutter für mich ausgedacht hatte. Von der richtigen Dimity Westwood erfuhr ich erst, nachdem sowohl sie als auch meine Mutter gestorben waren.
Und so verwandelte sich die Heldin meiner Lieblingsgeschichten in einen Menschen, der tatsächlich gelebt hatte. Zu meiner ewig währenden Verwunderung hinterließ Tante Dimity mir ein beträchtliches Vermögen, das honigfarbene Cottage, wo sie aufgewachsen war, die kostbare Korrespondenz, die sie mit meiner Mutter geführt hatte, und ein blaues, ledergebundenes Notizbuch voller leerer Seiten.
Und durch dieses blaue Buch sollte ich schließlich Bekanntschaft mit meiner Wohltäterin machen. Wann immer ich es aufschlug, erschien ihre Handschrift auf dem Papier, eine altmodische akkurate Schrift, wie man sie in der Dorfschule lehrte zu einer Zeit, als die meisten Dorfbewohner nur ein einziges Buch besaßen, die Bibel. Zwar bekam ich, als sich die Schrift zum ersten Mal auf der leeren Seite abzeichnete, einen mittleren hysterischen Anfall, aber glücklicherweise wurde mir recht bald bewusst, dass ich keine Angst haben musste. Im Gegenteil, mit der Zeit lernte ich Tante Dimitys unkonventionellen Kommunikationsweg immer mehr zu schätzen.
Mir war noch immer schleierhaft, wie Tante Dimity es schaffte, den Graben zwischen dem Diesseits und dem Jenseits zu überwinden, denn was das betraf, hielt sie sich bedeckt, aber ich verlangte nach keiner technischen Erklärung. Mir genügte es zu wissen, dass sie mir eine ebenso gute Freundin war, wie sie es meiner Mutter gewesen war.
Im Arbeitszimmer war es dunkel, aber nicht still, als ich eintrat. Der Wind heulte im Schornstein und rüttelte draußen an den Efeuzweigen um das Sprossenfenster vor dem alten Eichenschreibtisch. Fröstelnd schaltete ich die Kaminlampen ein und kniete mich vor den Kamin, um ein Feuer zu entzünden. Als
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