170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
jenen Mann, den ihr Vater ihr zugedacht hatte.
Es gab in der Umgebung von Carrauntoohil mehrere wohlhabende und einflussreiche Männer – jeder von ihnen würde einen annehmbaren Gemahl abgeben, dachte Keelin. Zwar konnte sie sich schlecht vorstellen, von einem der Männer liebkost zu werden, aber sie vertraute ihrem Vater, den geeignetsten Nachbarn gewählt zu haben. Schließlich durfte die Tochter eines bedeutenden Clanführers nicht aus Liebe oder wegen der Anziehungskraft eines Mannes heiraten. Es war ihre Pflicht, den Clan zu stärken, gerade jetzt, da Cormac aus dem Leben geschieden war.
Keelin ging der Frage nach, wie ihr Clan in diesen Zeiten überleben sollte. In ihren bedrückenden Visionen hatte sie nicht sehen können, ob Mageean die Burg in Carrauntoohil eingenommen hatte oder ob der Clan der Sheaghda in der Lage gewesen war, die Eindringlinge zurückzutreiben.
Sie seufzte verzweifelt auf. Zwar hatte sie in der vergangenen Nacht viel gesehen, aber sie hatte noch kein klares Bild gewonnen und konnte nicht aufhören, über Cormacs Tod und das Schicksal ihres Clans nachzudenken. Wenn sie nach Kerry aufbrechen könnte, um ihrem Volk Ga Buidhe an Lamhaigh zurückzubringen, hätte der Clan der Ui Sheaghda die Aussicht, einem weiteren Angriff der Mageean erfolgreich standzuhalten.
Keelin war sich darüber im Klaren, dass ihr Wunsch nicht so einfach zu verwirklichen war. Sie vermochte nicht zu sagen, wann der kleine Tross nach Wrexton aufbrechen würde und wie bald nach der Ankunft sie Tiarnan verlassen könnte. So sehr sie sich in ihrer Verzweiflung auch anstrengte, die kommenden Ereignisse zu „sehen“ – eine Vision ließ sich nicht erzwingen. Auf diese Weise war ihr das zweite Gesicht noch nie vergönnt gewesen.
6. KAPITEL
Vier Tage verstrichen, bevor die Witterung es zuließ, dass der junge Graf und sein kleiner Tross Keelin O’Sheas alte Hütte am Waldrand verlassen konnten.
Marcus beschlich das unbestimmte Gefühl, dass er die Bauernkate vermissen würde. Bei der großen Kälte war es dort warm und anheimelnd gewesen, und das vertrauliche Zusammensein mit seinen Gefährten auf engem Raum wäre vorüber, sobald sie Wrexton Castle erreichten.
Auch das Verhältnis zu Keelin O’Shea würde sich ändern.
Er hatte versucht, die Augen von ihr zu wenden und seine Gedanken nicht mehr zu jener Nacht schweifen zu lassen, in der er sie in seinen Armen gehalten hatte. Doch unzählige Male ertappte er sich dabei, wie er ihren anmutigen Bewegungen folgte, während sie sich um Adam und die anderen Männer kümmerte. Mehr als einmal bemerkte sie, dass er sie ansah, und ihre lieblichen grünen Augen suchten seinen Blick.
In solchen Momenten durchströmte eine unsagbare Hitze seinen Leib. Hätte er seinen Wünschen freien Lauf lassen können, wäre er mit Keelin nach draußen gegangen, um an einem stillen Ort ihren Körper zu spüren und ihren Mund und ihre süßen Lippen zu erkunden.
Aber der eiskalte Regen hatte keinen Moment nachgelassen.
Als dann endlich am vierten Morgen die Sonne durchkam, hielt Marcus diesen Wetterumschwung für die beste Gelegenheit, um nach Wrexton aufzubrechen. Unter gewöhnlichen Umständen erreichte man die Burg zu Pferd in zwei Stunden. Mit dem Maultierkarren und den Verwundeten konnte man indes von Glück reden, wenn man die Strecke in vier Stunden schaffte.
Lady Keelin tat die Kräuter in die Truhe, die ihre Habseligkeiten enthielt, und einer der Ritter befestigte den Behälter hinten am Karren. Sie lud jedoch nichts auf den alten Wagen, das auch nur annähernd einer Lanze glich, obschon Marcus sich nicht vorstellen konnte, dass sie etwas so Bedeutsames zurücklassen würde.
Die Lanze musste demnach irgendwo in einem Versteck sein.
„Mylord, könntet Ihr Adam zu dem Karren tragen?“, fragte Keelin, als alles für die Abreise fertig war.
Marcus hob seinen Vetter behutsam von dem Lager, auf dem er vier lange Tage und Nächte gelegen hatte, und trug ihn zu dem Wagen. Ein holpriger Ritt stand ihnen bevor, aber Keelin hatte alle Vorkehrungen getroffen, um dem verletzten Jungen die Reise so angenehm wie möglich zu gestalten.
„Glaubst du, wir sind rechtzeitig zu Onkel Eldreds Beerdigung in Wrexton?“, fragte Adam. Zwar hatte Keelin dem Kleinen einen beruhigenden Trunk gegeben, der ihn während der Reise schläfrig machen sollte, aber noch war er hellwach.
Marcus drückte den Jungen sanft an sich, während er ihn zu dem Karren brachte. „Ich kann es nicht
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