1704 - Teuflische Abrechnung
die Flucht zu ergreifen. Wir haben ihn glücklicherweise finden können, bevor er zwei Kinder umbringen konnte.«
»Danke, das wollte ich wissen.«
Robert Warwick sprach trotzdem weiter. »Und auch bei Larkin sehe ich keine Chance. Er ist nicht therapierbar. Das sage nicht nur ich, sondern auch andere Kollegen.«
Die Tür zu Larkins Zelle wurde von Mario aufgeschlossen. Hier bediente man sich noch eines Schlüssels. Bevor er ihn drehte, schaute er durch einen Spion in die Zelle.
»Und?«, fragte ich.
»Er sitzt auf dem Bett und hat den Kopf gesenkt.«
»Ist das normal?«
»Ja.«
Wir diskutierten noch darüber, wer die Zelle betreten sollte. Zu viele Personen würden den Mann nur nervös machen, und deshalb sollten der Professor und Tanner in die Zelle gehen. Suko und ich hielten uns zurück, würden aber alles hören können.
Ich schaute den Chiefinspektor an, der so ungewohnt ruhig war. »Bist du damit einverstanden?«
Tanner nickte, ohne etwas zu sagen.
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Du schaffst das schon.«
»Wir werden sehen.« Dann drehte er sich von mir weg und trat mit dem Professor über die Schwelle …
***
Tanner stellte sich schon seit einigen Minuten die Frage, wann er sich zum letzten Mal so mies gefühlt hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern. Das hier war etwas völlig Neues für ihn. Das hier war auch kein Fall, hier ging es um eine Sache, die ihn persönlich betraf.
Er schwitzte und spürte zugleich eine gewisse Kälte auf seinem Rücken.
Beim Eintreten gelang ihm der direkte Blick auf den Mann, der auf dem Bett hockte. Trotz der gegen sein Gesicht gedrückten Hände war sein Blick frei, aber er gab mit keiner Bewegung zu erkennen, dass er Tanner erkannt hatte.
Lex Larkin trug graue Kleidung. Sein dunkles Haar war an beiden Seiten des Kopfes lang gewachsen und ließ sein Gesicht schmaler erscheinen. Er hatte gehört, dass Besuch im Anmarsch war, hob jetzt den Blick an, und Tanner sah in dunkle Augen, deren Blick irgendwie leer war. Er kannte sie anders. Da war sein Blick Furcht erregend gewesen.
»Sie haben Besuch, Lex!«
Tanner rechnete damit, dass der Mörder nicht reagieren würde. Er tat es aber und schaute hoch. Aus seinem Mund drang kein Wort, und auch Tanner sagte nichts. Sie schauten sich nur an, und der Polizist wartete darauf, dass etwas geschah.
Es trat nicht ein. Larkin nahm alles so hin.
»Sie können reden«, sagte der Professor.
»Danke.« Tanner musste sich räuspern, bevor er seine erste Frage stellte. Er war gespannt, ob er eine Antwort erhalten würde.
»Erkennen Sie mich, Larkin? Wissen Sie, wer ich bin?«
Tanner hatte langsam gesprochen, weil er wollte, dass der Mann jedes Wort genau verstand.
Zunächst passierte nichts. Dann deutete Larkin so etwas wie ein Nicken an und gab tatsächlich eine Antwort.
»Ich habe dich nicht vergessen, Bulle, und ich habe immer an dich gedacht. Ich wusste, dass wir uns noch mal unter anderen Umständen begegnen würden.«
»Dann wussten Sie mehr als ich. Okay, jetzt bin ich hier, und ich möchte wissen, ob Sie mir etwas zu sagen haben, wenn Sie sich schon mit mir beschäftigt haben.«
Larkin wartete. Er saß jetzt aufrecht und rieb dabei seine Hände. Dann flüsterte er seine Antwort, die aber verständlich war.
»Es geht nicht nur um uns beide, Tanner, das bestimmt nicht, wir sind nicht allein.«
»Das sehe ich.«
Ein abgehacktes Lachen. Danach gab der Gefangene das preis, was er wirklich gemeint hatte. Er verengte die Augen und hob den rechten Zeigefinger.
»Ich sage dir, dass es noch andere gibt, die sich für uns interessieren.«
»Von wem sprechen Sie?«
Larkin zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie gesehen, Tanner. Ja, sie waren bei mir.«
»Und wen haben Sie gesehen?«
»Die Toten. Die vier Frauen. Verstehst du? Sie haben sich mir gezeigt.«
Tanner konnte erst mal nichts sagen. Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, obwohl er eigentlich mit einer Überraschung hatte rechnen müssen. Sofort dachte er daran, was ihm in der vergangenen Nacht widerfahren war, und wenn er sich durch den Kopf gehen ließ, was Larkin ihm da gesagt hatte, dann konnte er sich vorstellen, dass sie beide Brüder im Geiste waren.
Beide hatten sie Probleme, und Larkin musste spüren, dass es auch bei Tanner der Fall war, denn er grinste ihn an.
»Waren sie auch bei dir? Haben sie auch dich erwischt? Wollten sie keine Ruhe geben?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Die Toten, Tanner. Die Geister der Toten.
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