1705 - Auf der Welt der Kristalle
Reginald Bull sehen, daß im rückwärtigen Teil der Baracke eine kleine Forschungsstation eingerichtet worden war, zusammengestellt aus dem, was man von Bord der ODIN hatte bergen und instand setzen können. Viel war bei dem Beinaheabsturz des Raumers auf Thyssan zu Bruch gegangen, einiges von der hochwertigen Technik hatte auch den seltsamen Angriff der Schneeflocke nicht überstanden, bei dem zahlreiche Anlagen und Maschinen blitzartig hochgegangen waren. Reginald Bull konnte moderne Mikroskope sehen, histologische Analysatoren und zahlreiche andere Geräte, deren Sinn und Zweckbestimmung er kaum verstand, trotz aller Vorbildung.
„Wir untersuchen jeden Patienten", fuhr Magkue leise fort und strich mit der Hand über die Stirn, dann rieb er sich die Nasenwurzel. „Wir nehmen Blutproben, untersuchen Zellabstriche. Wir messen das gesamte neurophysiologische System durch, die Leitfähigkeit einzelner Nervenstränge, die Reflexbögen und viele andere Dinge mehr. Aber wir finden nichts." Reginald Bull runzelte die Stirn. „Nichts?"
Magkue nickte langsam.
„Gar nichts", sagte er leise. „Jedenfalls nichts, was wir interpretieren, deuten oder erklären könnten."
„Habt ihr nicht wenigstens einen Verdacht, eine Theorie ... ?"
Reginald Bulls Stimme klang zwar leise, aber mit beschwörendem Unterton. „Nun komm, Magkue, ich kenne euch Wis senschaftler doch.
Irgendeinen verrückten Einfall wirst du doch haben, wie die Dinge zusammenhängen." Magkue zögerte.
Der Ara war, wie Reginald Bull wußte, ein Mann der exakten Wissenschaft, der strengen Methodik. Er konnte auch ein sehr mitfühlender, warmherziger, humorvoller und verständnisvoller Arzt sein, der sich aufopfernd um seine Patienten kümmerte und vor keinem Verfahren zurückschreckte, um ihnen zu helfen. Aber Reginald Bull wußte ebenso, daß Magkue diese beiden Eigenschaften niemals durcheinanderbrachte.
Einen Kranken mit einem Witz aufzumuntern und dabei auch dessen Lebensgeister zu animieren und den Genesungswillen des Patienten - das war die eine Sache. Bei der Untersuchung von Gewebeproben und Abstrichen hatte Humor hingegen nichts zu suchen, da galten nur exakte Beobachtung und klares wissenschaftliches Kalkül.
„Es hat etwas mit Thyssan selbst zu tun", sagte Magkue schließlich und hob sofort abwehrend die Hände, als Reginald Bull ein triumphierendes „Na, siehste ... !"-Gesicht aufsetzen wollte. „Aber das sagt nur meine Phantasie, ich kann nichts davon beweisen. Ich glaube, daß der Symptomkomplex, mit dem wir es zu tun haben und den die Leute - leider - schon voreilig Thyssan-Pest nennen, ich glaube, daß diese Phänomene etwas mit der besonderen Beschaffenheit dieses Planeten zu tun haben."
Reginald Bull kniff die Augen zusammen.
„Mit den Kristallen?" Magkue nickte zögernd.
„Ich habe mit dem Mikroskop kleine Veränderungen im Blutbild feststellen können", sagte er sehr leise; er leckte die trockenen Lippen.
Sichtlich fiel es ihm schwer, diese sehr dürftigen Auskünfte zu geben, wahrscheinlich hätte er lieber geschwiegen, bis er eine vollständige Theorie entwickelt hatte, die er schlüssig beweisen konnte. „Ebenso bei den Nervenleitungen."
„Was für Veränderungen?" Reginald Bull ließ nicht locker.
„Krankhafte Veränderungen? Nun red schon ... !"
„Veränderliche Veränderungen", antwortete Magkue. Reginald Bulls Augen weiteten sich.
„Was soll das schon wieder heißen?"
„Daß diese Abweichungen von den Normalwerten ..."
Magkue verstummte, als der Posten am Eingang zur Seite gestoßen wurde. Ein Mann erschien auf der Schwelle, einen Kranken auf den Armen. Das Gesicht des Mannes war schweißüberströmt und blaß, sein Atem ging stoßweise.
„Er ist gerade umgekippt", sagte er. „Hier vor der Baracke, und sein Herz scheint nicht mehr zu schlagen ..."
Magkue gab ein Zeichen. Er und seine Assistenten gingen sofort an die Arbeit. Der Patient wurde auf den Tisch gelegt und an die Reanimation angeschlossen. Magkue griff nach einer Koronarsonde und setzte sie an, ein zeigefingerdickes Gerät, das unter dem Rippenbogen angesetzt und durch die Haut in den Brustkorb geschoben wurde.
Dort entfaltete sich ein Netz, das sich automatisch um den gesamten Herzmuskel legte. Aufgabe des Netzes war nicht nur, eventuelle Blutungen zu stoppen, sondern im Notfall, auch durch rhythmisches Zusammenziehen und Lockern die Tätigkeit des Herzmuskels zu unterstützen. Sensoren überwachten gleichzeitig alle wichtigen Funktionen
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