1706 - Lockvogel der Nacht
Vampirin sah überhaupt nichts mehr. Die Schwärze hatte sie verschluckt, und ihr kam auch kein Gedanke an Gegenwehr.
So blieb sie auf der Stelle stehen, und dann umgab sie plötzlich der Klang einer Stimme.
»Willkommen in meiner Welt, Justine Cavallo …«
***
Die Wiedergängerin hatte die Begrüßung gehört, und nur ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf.
Verdammt, sie kennt dich! Sie weiß genau, wer du bist. Das alles ist hier kein Zufall. Sie hat dich hergelockt, und du hast dieser Lockung nicht widerstanden.
Eine Antwort gab sie nicht. Irgendwas saß in ihrem Hals, und sie ärgerte sich darüber, dass sie in diesem speziellen Fall so menschlich reagierte.
Die Cavallo war es nicht gewohnt, dass andere zuerst handelten. Sie war es sonst immer, die sich als Erste aus dem Fenster gelehnt hatte, doch nun war es umgekehrt.
Sie wusste auch nicht, ob es hier einen Ausweg gab. Gesehen hatte sie keinen, aber diese Kugel war auch etwas Besonderes und Einmaliges. Sie konnte sich verändern und andere Formen annehmen.
Das alles musste sie erst einmal verarbeiten, während sie sich nicht bewegte.
Und dann schoss ihr wieder der Name Mallmann durch den Kopf. Was hatte der Supervampir mit dieser Schattenwelt zu tun?
Nichts, glaubte sie. Jedenfalls nichts, was sie sich hätte vorstellen können.
Den ersten Schrecken hatte sie rasch überwunden. Sie war eine Person, die nicht so leicht aufgab und nach neuen Alternativen suchte.
Einen besonders großen Umfang hatte die Kugel nicht, und sie rollte auch nicht weiter, deshalb wollte sie versuchen, das Ding an einer bestimmten Stelle zu verlassen. Wenn möglich an der gegenüberliegenden Seite.
Den Gedanken setzte sie augenblicklich in die Tat um. Sie ging vor, und es gab niemanden, der sie daran hinderte. Sie kam wunderbar weiter. Erst als sie den zehnten Schritt hinter sich hatte und noch immer in der Schwärze steckte, hielt sie an.
Das Lachen der anderen Seite ärgerte sie, aber sie musste es hinnehmen.
»Wolltest du verschwinden?«
Der tiefe Klang einer Stimme hatte sie erreicht, und die Frage hatte sich angehört wie ein Echo, das von allen Seiten kam.
»Wäre das so unnatürlich gewesen?«
»Nein. Aber du schaffst es nicht. Du würdest es nur schaffen, wenn ich es will.«
»Aha. Und wer bist du? Bisher bist du nur eine Stimme und nichts sonst.«
»Ich bin alles …«
»Wie?«
»Ich bin das, was du siehst.«
Justine lachte. »Ich sehe nichts. Nur die verdammte Dunkelheit.«
»Genau. Und das bin ich. Ich allein. Ich bin die Schwärze, das Dunkel, ich bin der Seelenfänger, und wer mich kennt, der kann auch meinen Namen aussprechen.«
»Ach ja? Wie lautet er?«
»Ich bin der Spuk.«
Die Cavallo reagierte zunächst nicht. Sie dachte nur über den Namen nach, und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Der Spuk also. Ein mächtiger Dämon, mit dem sie bisher nicht in Kontakt gekommen war. Dafür aber ein gewisser John Sinclair, und er hatte den Namen auch erwähnt.
Sie gab klein bei und erklärte, dass sie den Namen schon mal gehört hatte. »Du bist ein mächtiger Dämon«, schmeichelte sie ihm noch.
»Das stimmt. Und du wirst meine Macht zu spüren bekommen.«
»Aha. Und wie?«
»Reden wir über Dracula II!«
***
Beide hatten wir die Bemerkung unseres Chefs gehört, aber ich war es, der die Frage stellte.
»Und wie heißt das Problem?«
»Justine Cavallo.«
Ich schwieg, und auch Suko sagte zunächst mal nichts. Komischerweise fühlte ich mich nicht mal besonders überrascht. Irgendwann hatte es mal so kommen müssen, aber mit großer Wahrscheinlichkeit hatte der letzte Fall damit zu tun, in den wir zusammen mit Justine geraten waren.
Da hatte sie ihre Hemmungen über Bord geworfen und sich gewandelt. Wir kannten ja ihr Prinzip. Sie brauchte Blut, und das holte sie sich auch. Natürlich waren wir dagegen gewesen, aber wir hatten es nicht geschafft, sie zu ändern. Sie war eine Vampirin, nur durch menschliches Blut konnte sie weiterhin existieren.
Aber sie hatte nie gewollt, dass sich die Vampirpest ausbreitete. Bevor die von ihr geschaffenen Vampire richtig loslegen konnten, waren sie von der Cavallo vernichtet worden. Erlöst hätte man auch dazu sagen können.
Und dann war es zu diesem letzten Fall gekommen, der wahrlich nicht lange zurücklag. Da hatte sie das Blut zweier junger Frauen getrunken und sie zu Wiedergängerinnen gemacht.
Danach kam der Hammer. Sie hatte die beiden nicht getötet, sondern sie laufen lassen, und das in
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