1713 - Im Bann der Abruse
drehen wir durch, Mila."
„Es zehrt an den Nerven, sich ständig beobachtet und durchleuchtet zu fühlen", nickte Mila. „Wir können so tun, als ignorierten wir dieses Ding, aber es gelingt uns nicht ganz. Um so weniger, als wir dauernd von den Projektionen gestört werden. Aber ich glaube, wir sind trotzdem ein gutes Stück vorangekommen."
„Denkst du, wir sind mit den Versuchen durch?"
„Ja, ich glaube schon."
Nadja zeigte sich nicht recht überzeugt. „Die Ayindi haben ein solches Geheimnis um ihre Technik gemacht, damit wir ja nichts von ihnen abkupfern können, daß es uns noch zum Verhängnis wird. Und ausgerechnet wir beide müssen uns damit herumschlagen."
„Wenn wir nicht unsere Fähigkeiten hätten, wäre die Lage allerdings ziemlich verzweifelt", gab Mila zu. „Ich schlage vor, wir nehmen beide eine Mütze voll Schlaf, und dann schauen wir nach unseren Freunden."
„Und dann werde ich die ersten Bruchstücke zusammenfügen", behauptete Nadja. „Ich habe lange genug geübt. Jetzt muß es einfach gelingen."
*
Stunden später, auf dem Weg zur Zentrale, zeigten sich erneut die Projektionen.
Doch etwas ganz Entscheidendes war vorgegangen - wodurch immer es ausgelöst worden sein mochte: Die Abruse versuchte jetzt nicht mehr zu stören, ganz im Gegenteil. Sie schien mit allen Mitteln zu versuchen, Kontakt zu den Eindringlingen aufzunehmen.
Die immateriellen Alptraum-Geschöpfe hatten sich zu hauchzarten Lichtgestalten gewandelt, welche die Zwillinge auf Schritt und Tritt begleiteten.
Sie waren humanoid geformt, sehr lang, schlank und zartgliedrig, mit kleinen rosa Lippen, einer zierlichen Nase und riesigen durchsichtigen, amethystfarbenen Augen ohne Pupillen. Die Füße waren nicht richtig ausgebildet, ebenso schienen die langen, zierlichen Finger keine Kuppen zu besitzen; alle Gestalten wirkten eher wie gezeichnete, in Animation umgesetzte Figuren.
Möglicherweise, so vermutete Mila, wurde dieser Eindruck des Künstlichen mit voller Absicht hervorgerufen. Damit der Anschein erweckt wurde, daß dies die tatsächlichen, aus ihrem Innersten hervorgekommenen Auswüchse der Abruse selbst wären, als Kompromiß ein wenig den Schönheitsbegriffen der Fremden angeglichen. Denn die Abruse selbst war sicher mit nichts vergleichbar.
Die Körper der Lichtgestalten glitzerten kristallen und farbenfroh, je nach Lichteinfall, und sie bewegten sich voller Anmut und Grazie.
So tanzten sie vor den jungen Frauen her oder neben ihnen, ihre Hände strichen leicht über ihre Schultern, und die Projektion war so täuschend, daß dabei sogar das Gefühl eines Luftzugs entstand.
Sie tanzten zusammen oder einzeln, mit Pirouetten und Überschlägen, grazilen Luftsprüngen und biegsamen Verrenkungen. Die Bewegungen waren so harmonisch und übereinstimmend, daß die Vandemars tatsächlich die Musik dazu zu hören glaubten. Denn alles ging völlig lautlos vor sich.
Einige der Wesen machten Mundbewegungen und heftige-Atembewegungen, als würden sie singen.
„Was will sie damit bezwecken?" fragte Mila. Obwohl sie die Vorstellung optisch echt nett fand, ging sie ihr zusehends auf die Nerven; sie wußte nicht so recht, ob sie sich nicht besser die bisherigen Alpträume herbeiwünschen sollte.
„Sie hält uns anscheinend für etwas dämlich", antwortete Nadja. „Sie macht auf gute Nachbarschaft."
„Du bist zu streng" ,widersprach Mila voller Ironie. „Weshalb sollte auch in ihr nicht etwas wie... naive Unschuld schlummern?"
Sie sahen sich an. „Na eben", sagten beide gleichzeitig.
Ohne ein weiteres Wort gingen sie weiter, einfach durch die ätherischen Geschöpfe hindurch, die sich in ihrem anmutigen Tanz nicht stören ließen.
Die einen wurden bei jedem Schritt der Zwillinge ein Stück voran projiziert, die anderen hüpften aufgeregt herum oder sprangen neben ihnen her.
Die Menschen reagierten auf keinen Reiz, keine Versuchung. Sie schotteten sich nach außen hin ab, als würden sie sich auf einen winzigen Teilbereich innerhalb ihrer körperlichen Hülle zurückziehen.
Mila setzte sich in den Kommandosessel und legte die Finger sacht auf die Sensorfelder, die selbstverständlich noch keine Reaktion zeigten.
Nadja hockte sich neben sie und ließ den Kopf leicht hängen, um sich ganz zu konzentrieren.
Ich fange an.
Mila konzentrierte sich ebenfalls. Nach und nach vergaß sie die Welt um sich herum und tauchte langsam in die Eingeweide des Schiffes ein. Sie orientierte sich an der Reihenfolge der
Weitere Kostenlose Bücher