1717 - Die Fratze der Angst
als sie vor der Haustür stand. Es ist ungefähr die Zeit gewesen, als der Ghoul vom Friedhof flüchtete.«
»Und das hat man dir erst jetzt gesagt?«
»Ja, Harry. Ich ärgere mich auch darüber, aber ihr Vater hat ihr nicht geglaubt oder wollte ihr nicht glauben, bis die kleine Lena immer wieder davon angefangen hat. Es wurde ihm zu bunt, und deshalb hat er mich angerufen.«
Ich wollte wissen, wie alt diese Lena war.
»Gerade neun Jahre geworden, hat man mir gesagt.«
»Ist sie denn glaubwürdig?«
»Das hoffe ich, John.«
»Aber du kennst sie nicht näher?«
»Nein. Ich finde die Aussage jedoch interessant. Kinder haben oft ein gutes Auge.«
Da mussten wir zustimmen.
Prantl lehnte sich zurück. »Jedenfalls wird ihr Vater sie gleich herbringen. Dann muss er wieder weg, denn er ist Busfahrer.«
»Hört sich spannend an«, fasste ich zusammen, »wobei wir uns eine wichtige Frage stellen müssen. Falls es den Ghoul gibt, und daran zweifelt ja niemand von uns …«, ich beugte mich etwas vor, »… ist das Problem, woher er kommt. Wie kommt es dazu, dass er den Ort unsicher macht? Ist er allein? Gibt es noch andere Ghouls hier in der Nähe? Das müssen wir uns auch fragen. Und vor allem müssen wir uns den Kopf darüber zerbrechen, wo sie herkommen. Auch Ghouls fallen nicht vom Himmel.«
»Nee, die kommen eher aus der Hölle«, meinte Harry.
»Auch das.«
Georg Prantl schüttelte den Kopf. »Ich habe überhaupt keine Ahnung, was diese Ghouls angeht. Aber ich habe ihn mit den eigenen Augen gesehen und mir dieses stinkende Monstrum nicht eingebildet.« Er schüttelte sich. »Es hatte einen Körper, der einfach nur schlimm aussah, und ich will erst gar nicht weiter darüber nachdenken. Das war kein Mensch, sondern ein irgendwie zerklüftetes Gebilde.«
Das konnte ich nachvollziehen. Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben einen Ghoul sahen, mussten einfach geschockt sein. Ihn so zu nehmen, wie er war, so abgebrüht war keiner.
Und ausgerechnet diese Lena Huber hatte ihn gesehen. Ein Kind war mit einem uralten Schrecken konfrontiert worden. Doch Kinder reagieren anders als Erwachsene. Sie waren sich auch nicht der Gefährlichkeit bewusst, und so hatte diese Lena ihn wohl mit Interesse betrachtet und konnte eine gute Zeugin sein.
Georg Prantl schaute auf seine Uhr. »Eigentlich müsste sie gleich hier sein.«
»Da kommt sie«, sagte Harry. Von seinem Platz aus hatte er einen besseren Blickwinkel zur Tür hin, und er hatte sich nicht geirrt, denn wir hörten die Schritte, und nach wenigen Sekunden erschienen Vater und Tochter und blieben an unserem Tisch stehen.
»Da sind wir«, sagte Herr Huber und nickte, als wollte er sein Kommen noch mal bestätigen. Er trug bereits seine Uniform, hörte unsere Namen und Berufe und war froh, dass wir allesamt zur Polizei gehörten.
»Dann kann ich Lena ja ruhig bei euch lassen.«
»Können Sie«, bestätigte Prantl.
Huber nickte, schaute noch mal in die Runde und verschwand wieder, während sich Lena neben Georg Prantl setzte, ihn anlächelte, denn ihn kannte sie, und verschmitzt fragte: »Darf ich eine Cola trinken?«
»Aber sicher doch.«
Danach lachten wir alle, denn so war das Eis zwischen uns gebrochen worden …
***
Wir fielen natürlich nicht mit der Tür ins Haus. Erst bestellten wir die Cola, und Georg erkundigte sich, wie es in der Schule ging.
»Och, nicht schlecht, ich hatte heute nur drei Stunden.«
»Das ist immer gut.«
Die Cola wurde serviert. »Bitte schön, meine junge Dame.«
»Aber nicht meinem Vater sagen. Der will nämlich nicht, dass ich so etwas trinke.«
»Keine Sorge. Großes Ehrenwort.«
Ihr schmeckte es, und sie lächelte uns der Reihe nach an. »Finde ich ja super, dass mich gleich drei Männer befragen wollen.«
»Du bist auch wichtig«, sagte ich.
»Kommst du aus einem anderen Land?«
»Klar, aus England.«
»O je, in meiner letzten Englisch-Arbeit habe ich keine gute Zensur gehabt.«
»Ach, das gleichst du wieder aus. Du bist doch ein aufgewecktes Mädchen, denn du hast etwas gesehen, was sonst keiner so genau gesehen hat.«
Lena schaute in ihr Glas und sagte: »Weiß nicht …«
»Aber du wirst es uns erzählen«, schlug Prantl vor.
»Deshalb bin ich hier.«
»Genau. Und deshalb möchten wir von dir erfahren, was dir gestern aufgefallen ist.«
Sie nickte, trank und zog die kleine Nase hoch, bevor sie durch ihr dunkelblondes Haar strich. Wir hörten, dass sie vor die Tür gegangen war, zusammen mit ihrer
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