1719 - Totenmarsch
Erscheinen dieser seltsamen Gestalt einfach nicht vergessen.
Neben dem Taufbecken blieb er noch mal kurz stehen und ging in sich.
Dann gab er sich einen Ruck, um die letzten Schritte bis zur Tür hinter sich zu lassen. Nichts hielt ihn auf. Er fasste nach der Klinke. Sie fühlte sich an wie immer, und darüber war er froh, ohne dass es ihm allerdings besser ging, denn sein Herz schlug noch immer schneller. In diesen Augenblicken beschäftigte er sich mit dem Gedanken, sich eine Waffe zuzulegen. Dann hatte er die Tür geöffnet und der erste Schwall einer frischen Luft traf ihn, worüber er beinahe glücklich war.
Jetzt befand er sich wieder in der Realität. Das Licht war heller, über seinem Kopf schwebte der Himmel, und er sah von seiner erhöhten Position aus den kleinen Ort vor sich liegen, wie auch den Friedhof mit den ungewöhnlichen Gräbern.
Er legte die ersten Schritte zurück. Zwischen den Gräbern wollte er nicht mehr hergehen, sondern sie an der linken Seite umrunden und dann die Treppe hinabsteigen, vor der sein Wagen stand.
Es war alles normal. Nichts deutete darauf hin, dass etwas passieren könnte. Tom Dury war froh über den leichten Wind, der den kalten Schweiß auf seiner Stirn trocknete. Unbewusst lauschte er dem leisen Knirschen unter seinen Sohlen, wenn kleine Steine zerrieben oder zertreten wurden.
Seine Sinne waren angespannt, und so bekam er auch das fremde Geräusch mit, das so gar nicht auf diesen Friedhof passte.
Es war ein Lachen!
Dury ging noch einen Schritt, blieb dann stehen und drehte sich um.
Vor ihm stand ein Mann.
Es war der Typ aus der Kirche!
***
In den folgenden Sekunden erlebte der Reporter ein regelrechtes Durcheinander in seinem Kopf. Das kannte er nicht, denn normalerweise konnte ihn nichts so leicht überraschen. In diesem Fall war alles anders. Er dachte daran, dass er den Mann weder in die Kirche hatte treten sehen, noch hatte er etwas gehört.
In diesem Fall auch nicht, abgesehen von dem Lachen, das in ihm nachhallte. Das waren Dinge, die er nicht verstand. Real nachvollziehen konnte er das nicht, aber der Mann vor ihm war eine Tatsache aus Fleisch und Blut und kein Gespenst. Er sprach kein Wort und schaute den Reporter nur an, sodass dieser in der Lage war, ihn genauer zu betrachten.
Einen finsteren und abstoßenden Eindruck machte er nicht. Und auch seine dunkle Kleidung fiel in der heutigen Zeit nicht auf. Sie wurde von den Grufties ebenso getragen wie von der Verkäuferin in einer Boutique.
Eine dunkle Hose und eine Jacke, die hoch geschlossen war. Aus dem Kragen ragte der Hals hervor, dann kam der Kopf mit dem Gesicht eines noch recht jungen Mannes um die dreißig.
Auf der Haut verteilten sich ein paar Bartstoppeln. Dichtes Haar wuchs auf dem Kopf. Es hatte eine braune Farbe, und einige Wirbel waren auch zu sehen, sodass die Frisur irgendwie immer wie ungekämmt wirkte.
Doch das nicht das Wichtigste. Dury nahm es wie nebenbei wahr, denn er wurde von den Augen angezogen, in deren Pupillen es tatsächlich blau schimmerte. Das wäre auch nicht weiter tragisch gewesen, damit konnte er leben, aber von dieser Farbe ging etwas aus, das er als schlimm empfand.
Der Reporter war nicht auf den Mund gefallen. Er war es gewohnt, Personen beschreiben zu können, aber in diesem Fall fehlte ihm einfach die richtige Einschätzung.
Nur etwas spürte er, und das kroch auf ihn zu. Es sorgte zudem für Atembeklemmungen bei ihm und steigerte ein Gefühl, das er sonst kaum kannte.
Angst!
Erst wollte er darüber lachen, dann aber überlegte er es sich anders. Etwas Kaltes rann über seinen Nacken. Er fühlte sich plötzlich so klein im Vergleich zu der Gestalt dicht vor ihm.
Und irgendwie schien diese Umgebung auch zu ihm zu passen. Der Mann kam ihm vor, als würde er den Friedhof allein durch seine Anwesenheit beherrschen.
Tom Dury war klar, dass er die Situation auflockern musste. Er versuchte es in seiner üblich lässigen Art, schaffte sogar ein schiefes Grinsen und sagte: »He …«
Der Fremde nickte.
Tom holte tief Atem. Dann redete er weiter und bewegte seine Arme dabei in die verschiedenen Richtungen. »Es ist ja so, ich wollte mich nur mal umsehen. Erst in der Kirche, dann hier auf dem Friedhof. Ist ja interessant …«
Der Mann nickte nur.
Das beunruhigte den Reporter. Für ihn war es so etwas wie ein Abschied, und er sagte mit leiser Stimme: »Dann werde ich mal wieder verschwinden. War nett, Sie kennengelernt zu haben.«
Natürlich beschäftigten
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