1719 - Totenmarsch
dieser Klemme wieder herauskam, damit ihr Leben normal weiterging. Sicher war das bisher aber nicht.
Sie zuckte zusammen, als sie ein helles Klingeln hörte. Es war das Telefon auf der Station, das sich meldete. Sie überlegte, ob sie abheben sollte. Eigentlich wollte sie mit keinem Menschen sprechen, dann tat sie es doch und hörte die Stimme ihres Bruders Graham.
»He, Mandy.«
»Ja. Was ist los?«
»Bist du allein?«
»Klar. Und?«
Es erklang ein Schnaufen. Danach wieder die Stimme. »Ich möchte nur sagen, dass es mir leid tut, wie ich mich benommen habe. Ich – ich – weiß auch nicht, wie das gekommen ist. Ich bin über den Anblick wohl zu geschockt gewesen.«
»Das kann sein. Sind wir ja wohl alle.«
»Danke, dass du das sagst. Was ist mit den beiden Männern?«
Mandy ahnte, dass die Frage der wahre Grund des Anrufs war, und sie gab auch Antwort.
»Sie sind nicht bei mir, falls du das angenommen hast.«
Ein knappes Lachen, dem eine kurze Pause folgte. »Nun ja, das war auch nur so dahingesagt.«
»Egal was und wie, Graham, ich möchte dir einen guten Rat geben.«
»Ich höre.«
»Bleib in deinem Haus. Egal, was passiert, aber verlasse es nicht.«
»Warum sollte ich?«
»Weil in dieser Nacht oder an diesem Abend noch etwas geschehen kann.«
»Du denkst an die Toten?«
»So ist es.«
Graham Hill stotterte sich die Antwort zusammen und sprach davon, dass er noch nie Probleme gehabt hätte.
»Dann sieh zu, dass es so bleibt.« Nach dieser Antwort unterbrach sie die Verbindung. In ihrer Achtung war der Bruder bei diesem Telefonat nicht gestiegen. Sie legte den Apparat wieder auf die Station und dachte darüber nach, was sie jetzt unternehmen sollte. Vielleicht doch mal nach draußen gehen und schauen, was die beiden Männer aus London machten.
Da hörte sie hinter sich die Stimme. »Man sollte nicht so viel denken, meine Teure.«
Der leise Schrei löste sich automatisch, als sie auf dem Absatz herumfuhr.
Jetzt stand der Sprecher vor ihr.
Es war die Gestalt aus dem Garten!
***
Ja, wir hörten die Musik. Oder das, was man als Musik ansehen sollte. Für mich waren es nur Geräusche bestimmter Laute und Töne, die durcheinander schwangen.
Wenn man sich konzentrierte, waren schon die Unterschiede zu hören. Da wurden Trommeln geschlagen, Flöten gaben hohl klingende Töne ab, und auch Laute, die von einer verstimmten Geige hätten stammen können, drangen an unsere Ohren.
Es war wirklich kein Vergnügen, sich so etwas anzuhören, dennoch waren wir froh, dass wir diese Klänge vernahmen. Sie waren wichtige Stationen auf dem Weg zur Wahrheitsfindung.
Noch hatten wir keinen der Musiker gesehen. Wenn ich allerdings näher über diese Musik nachdachte, dann dachte ich schon daran, dass sie nicht zu den Gestalten passte, die man als normale Menschen ansehen konnte. Das mussten schon besondere Typen sein, nur dass es sich dabei um Skelette handelte, das wollte mir nicht so recht in den Sinn. Ich war gespannt, ob es wirklich zutraf.
Die Richtung hatten wir festgestellt. Rechts von der Kirche aus gesehen hatte die Musik ihren Ursprung gehabt, die jetzt näher kam.
Sie füllte unsere Ohren, sie drang in unseren Kopf, und es wäre für uns fatal gewesen, sich auf dieses Durcheinander von Tönen, Klängen und Geräuschen zu konzentrieren. So etwas wäre schon einer Folter gleichgekommen und hätte von anderen Dingen abgelenkt.
Wir hofften nur, dass die Musiker auf dem Weg blieben und sich nicht ins Gelände schlugen. Wir wollten sie zusammen haben, um sie so stellen zu können.
Obwohl wir den Beweis noch nicht erhalten hatten, glaubte ich fest daran, dass diese Kakofonie von den lebenden Skeletten stammen musste. Da hatten sich die Zeugen nicht geirrt. Und wenn ich daran dachte, dass Matthias seine Hände mit im Spiel hatte, war mir klar, dass das Unmögliche möglich werden konnte, denn er sprengte alle Grenzen.
Dann sahen wir sie!
Suko hatte sie kurz vor mir entdeckt. Er schnippte jetzt mit den Fingern und deutete dabei mit seiner freien Hand nach vorn. Zu erklären brauchte er nichts, denn jetzt sah auch ich die Gestalten als eine hellere Masse, die sich durch die Dunkelheit auf uns zuschob und auch den Weg nicht verließ.
Die Toten hatten uns bei ihrem Marsch ins Visier genommen. Sie würden ihren Weg gehen. In ihren Knochenköpfen steckten die Befehle eines anderen, aber sie würden auch auf ein Hindernis stoßen, denn wir dachten nicht daran, sie so einfach davonkommen zu lassen. Da
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