1719 - Totenmarsch
gestellt, damit Sie ihn sehen können.«
»Das schon, aber er ist mehr auf uns fixiert. Es kann auch sein, dass er uns eine Lehre erteilen will.«
»Wie dem Pfarrer und dem Reporter, wie?«
»So kann man es sehen.«
Wir gingen an unserem Volvo vorbei und blieben auf einem schmalen Weg, der sein Ende an der Straße fand, die später durch den gesamten Ort führte.
An dieser Einmündung blieben wir stehen. Auch die Kirche war von hier aus zu sehen. Ihr Turm wirkte in der stärker werdenden Dunkelheit wie ein gemalter Schatten.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte ich.
Mandy blickte sich etwas scheu um, bevor sie sagte: »Gut, ich gehe dann wieder zurück.«
»Tun Sie das.«
»Eines muss ich Ihnen noch sagen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal gebetet habe. Jetzt aber spüre ich den Drang, denn Sie haben sich so angehört, als wäre der Teufel persönlich in diese Welt gekommen.«
Bevor wir ihr antworten konnten, war sie verschwunden. Aber wir gaben ihr schon recht …
***
Für uns begann das große Warten. Wir gingen davon aus, dass wir Zeugen des Totenmarschs werden würde, aber wir wussten nicht, wann er stattfinden würde. Ob noch am Abend oder erst mitten in der Nacht, was nicht eben toll gewesen wäre, denn auf eine lange Wartezeit im Freien konnten wir gut und gern verzichten.
Es war still in unserer Umgebung. Auch vom Dorf her hörten wir keine Geräusche. Keine Stimmen, kein Auto war unterwegs. Quimlin lag in einem tiefen Schlaf. Aber nicht im Dunkeln, denn hinter den Fenstern der Häuser brannte Licht, und so verbreitete sich der Schein von verschiedenen Positionen aus innerhalb des kleinen Ortes.
Ich hatte mich in den vergangenen Sekunden präpariert. Das Kreuz hing jetzt vor meiner Brust, und ich hoffte, dass es mich warnen würde, wenn der Horror begann.
Ich machte mir auch Gedanken darüber, wo diese Gestalten wohl steckten, wenn sie nicht unterwegs waren. Möglicherweise krochen sie wieder zurück in ihr Grab und warteten auf neue Befehle.
Möglich war so einiges, und ich hoffte nur, dass wir den Marsch der Toten stoppen konnten. Lebende Skelette würden kommen. Würden sogar Musik machen, die den Bewohnern hier bestimmt nicht gefallen konnte, weil die an alte Zeiten erinnerte.
Wir standen an der Straße. Die ersten Häuser lagen hinter uns. Zwischen uns und ihnen gab es Wiesenstücke mit Obstbäumen darauf.
Die Dämmerung sackte weg. Die Dunkelheit wurde intensiver. Das große Warten hielt an, aber die Spannung stieg. Von meinem Gefühl her holte ich mir eine Antwort, und die sagte mir, dass wir nicht über Stunden warten mussten.
Wir standen nicht nebeneinander. Suko hatte sich auf der anderen Straßenseite postiert, um die Skelette von dort angreifen zu können, wenn es denn nötig war. Hinter uns beiden war es ruhig, denn Mandy Hill hielt sich weiterhin in ihrem Haus auf.
Aber dann änderte sich alles. Plötzlich war die Stille wie weggezaubert, doch es wurde nicht laut, denn die Musik war noch weit entfernt, aber sie war zu hören.
Suko hatte sie ebenfalls vernommen, hob einen Arm und verließ seinen Standort. Er stellte sich mitten auf die Straße und sagte: »Ich denke, wir sollten unsere Freunde hier erwarten.«
»Wie du willst.«
»Dann wollen wir mal«, sagte er, zog seine Dämonenpeitsche und schlug einmal den Kreis.
Die drei Riemen rutschten aus der Öffnung. Suko nickte mir zu: »Jetzt können sie kommen. Ich bin bereit …«
***
Mandy Hill war zurück in ihr Haus gegangen und auch wieder in ihr Atelier. Bei jedem Schritt hatte sie das Zittern in den Beinen gespürt. Jetzt kam ihr in den Sinn, dass sie auf dem Friedhof sehr mutig gewesen war, doch dieser Mut hatte sie jetzt verlassen. Sie war wieder zu einer normalen Frau geworden, die sich auch mit dem Thema Angst auseinandersetzen musste.
Sie schaute in den Garten. Die Glastür zu öffnen, wagte sie nicht. Sie wollte keinem Fremden eine Chance geben, in ihr Haus einzudringen, und schon gar nicht einem Günstling der Hölle, wie er beschrieben worden war.
Überhaupt wunderte sie sich über das, was in den letzten beiden Stunden passiert war. Da hatte sich ihr Weltbild zwar nicht völlig auf den Kopf gestellt, aber dass das Böse plötzlich so nahe und konkret war, das hätte sie nie für möglich gehalten.
Es war ruhig in ihrem Atelier. Sie ließ die Blicke über ihre Bilder gleiten, auf die sie so stolz war. Nun aber hatte sich alles relativiert. Sie konnte nur hoffen, dass sie aus
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