1719 - Totenmarsch
überhaupt nicht kannte.
Angst!
Ja, dieses Gefühl war sichtbar geworden und stand wie gemalt in den Zügen der Frau. Irgendetwas Schreckliches musste passiert sein, sonst hätte sie nicht so ausgesehen.
»Mandy …« Er ging einen Schritt auf sie zu. Dabei sah er, wie sie den Mund aufriss.
»Hau ab!«
Er blieb starr stehen. »Bitte, was soll ich …«
»Abhauen, verdammt!« Einen besseren Rat konnte sie ihrem Bruder nicht geben, der aber stand starr auf der Stelle. Er schaute nach vorn, auch über seine kleinere Schwester hinweg und sah im Hintergrund eine Bewegung. Sie hatte also noch Besuch, und eine ihm fremde Männerstimme meldete sich.
»Nein, warum sollte er gehen? Ich will, dass er bleibt. Ich freue mich sogar auf ihn.«
»Geh endlich!«, brüllte Mandy ihren Bruder an, der sich nicht bewegte und nichts von dem verstand, was hier vor sich ging. Eine Sekunde später aber wurde er eines Besseren belehrt, und da war es für ihn zu spät.
Plötzlich war der andere da. Er packte zu und schleuderte seine Schwester regelrecht nach hinten, die sich nicht auf den Beinen halten konnte und auf den Boden fiel.
Dann war er an der Reihe. Vor ihm tauchten ein Gesicht und eine Hand auf. Und diese Hand griff zu. Die Finger umklammerten seinen Hals, würgten ihn, nahmen ihm die Luft, bevor etwas geschah, was er nicht so recht begriff.
Den Druck bekam er noch mit, dann wurde sein Körper angehoben, und im Griff der Hand hängend schwebte er plötzlich über dem Boden.
Matthias zog ihn auf diese Weise in das Haus seiner Schwester hinein. Die Tür wurde mit einem Fußtritt geschlossen, dann drehte Matthias seine Beute und schleuderte Graham Hill in den Flur des Hauses hinein.
Graham sah nichts mehr. Alles huschte an ihm vorbei, bis er wieder den Boden berührte und dicht neben seiner Schwester zusammenbrach.
Er schlug hart mit dem Kopf auf, war für wenige Sekunden durcheinander, aber danach wusste er wieder, was mit ihm los war und wie schlecht seine Lage war.
Neben ihm richtete sich Mandy auf. Sie atmete stoßweise, als sie ihren Bruder anfasste und ihm dabei helfen wollte, wieder auf die Beine zu gelangen.
»Warum bist du hier? Warum bist du nicht weggelaufen? Jetzt ist es zu spät.«
»Ich hatte Angst um dich.« Er stützte sich ab. »Ja, verdammt, ich wollte mich …«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zu spät, Bruderherz. Es ist alles zu spät …«
»Wieso denn?«
Plötzlich flossen Tränen aus ihren Augen. »Das wirst du noch sehen. Hier ist …«
»Die Vorhölle!«
Die schneidende Stimme des fremden Mannes ließen weitere Erklärungen nicht zu. Und plötzlich war er da. Ein Schatten, der feste Gestalt annahm, sich bückte und Graham am Kragen in die Höhe zog. Er schob ihn durch den Flur und hinein ins Atelier, als wäre er kein Mensch, sondern ein erlegtes Wild.
Er ging zum Tisch, wo die schmalen Stühle standen, und wuchtete ihn auf einen davon. Graham hatte Glück, dass er nicht zur Seite kippte und auf den Boden fiel.
Mandy Hill hatte sich aufgerafft. Die Angst um ihren Bruder trieb sie in das Atelier und es beruhigte sie nicht, dass noch nichts passiert war. Das konnte alles noch kommen, aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken.
Matthias schaute nach rechts, sah sie und sagte: »Du kannst ruhig näher kommen und dir deinen Bruder anschauen.«
Mandy breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf. »Bitte, was willst du von ihm?«
»Oh, er ist der Erste, mit dem ich meinen Feldzug einläute.«
Das war eine schlechte Antwort für Graham. Auch die Schwester wusste das. »Und was heißt es genau?«
»Das wirst du bald sehen können. Ja, ich lasse dich alles mit erleben. Dann wird dir klar werden, wie gut ich bin.« Plötzlich leuchteten seine Augen wieder in diesem intensiven Blau. Sie hatte den Eindruck, als wäre es die Farbe des Triumphes und einer satanischen Freude.
Auch Graham Hill hatte sich wieder gefangen. Der Aufprall war nicht so schlimm gewesen, er bekam alles mit und war auch in der Lage, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Zwar hielt sich seine Schwester noch in seiner Nähe auf, er hatte jedoch mehr den Eindruck, dass es jetzt um ihn ging. Dass man ihn aus dem Weg schaffen wollte.
Er sollte sterben!
Der Gedanke war einfach grauenvoll und unvorstellbar für ihn. Und er sorgte dafür, dass sich bei ihm der Widerstand meldete. Er war kein schwacher Mensch. Er hatte sich in seinem Leben immer durchsetzen müssen, und sich jetzt auf den Todesstuhl zu setzen,
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