1720 - Die Nacht der Voodoo-Queen
erlebt. Das bleibt er auch in meiner Erinnerung. Was er getan hatte, das habe ich erst später erfahren, und zwar bei seiner Beerdigung. Da haben die Leute über ihn und über die Zeit nach dem Krieg gesprochen, und das auch nur, weil einige sehr betrunken waren.«
»Was hast du getan?«
Sie winkte ab. »Ich habe es akzeptiert. Was sollte ich denn machen? Die Zeit zurückdrehen konnte niemand. Also habe ich mich damit abgefunden und mich mit dem Gedanken getröstet, dass auch in anderen Orten Leichen im Keller liegen. Dass es allerdings so viele Jahre später eine Rache geben würde, ist mir unbegreiflich. Damit habe ich auch nicht gerechnet.«
»Das kann ich mir denken.« Suko lächelte sie an. »Du solltest dir keine Vorwürfe machen. Du bist für diese Taten nicht verantwortlich.«
»Klar, aber mitgefangen – mitgehangen.«
»Nein, nein, so darfst du das nicht sehen. Du bist zufällig hier hineingeraten.«
»Und mein Bruder auch?«
Suko warf Graham Hill einen Blick zu. Der Veränderte hockte noch immer an seinem Platz und bewegte sich nicht. Er starrte ins Leere. Manchmal stöhnte er leise auf, als wäre er von der Erinnerung überfallen worden.
Suko zuckte mit den Schultern. »Er hat wohl nur Pech gehabt, dass er dich hier besuchen wollte. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Ich frage mich, ob man ihm noch helfen kann?«, flüsterte die Malerin. »Die Vorstellung, dass er bis an sein Lebensende so herumsitzen muss, macht auch mich verrückt.« Dann winkte sie ab und ihre Stimme klang deprimiert. »Möglicherweise erleben wir das nicht mehr, denn ich bin sicher, dass er zurückkommen wird. Dieser Matthias gibt doch nicht auf – oder?«
»Nein, da bin ich ehrlich. Aber wir sind jetzt gewarnt. Wir können uns auf ihn einstellen. Ohne dass ich angeben will, kann ich dir sagen, dass auch John Sinclair und ich nicht ohne sind. Wir haben schon unsere Erfahrungen und sind auch nicht zufällig hier, denn was mit Father Gregor geschehen ist, hat sich bis nach London herumgesprochen. Sein Tod hat uns auf die Spur gebracht. Wir werden es schon schaffen.«
Mandy verdrehte die Augen. »Wenn ich das nur glauben könnte«, flüsterte sie und ging zu ihrem Bruder, der zusammenzuckte, als sie ihm auf die linke Schulter tippte.
»Was willst du, Mandy? Mit einem Verfluchten reden?«
»Sag nicht so etwas.«
»Doch, verdammt, ich bin verflucht. Schau mich an. Bin ich noch ein normaler Mensch? Nein, bin ich nicht. Ich bin für immer gezeichnet. Ich kann so nicht den Rest meines Lebens herumsitzen, und das werde ich auch nicht tun. Ich werde meinem Leben irgendwann selbst ein Ende setzen, falls es nicht ein anderer macht.«
»Hör auf damit!«
»So etwas kannst auch nur du sagen. Du bist normal. Ich bin es nicht, ich kann und will dich nicht mal anschauen. Deshalb lass mich in Ruhe. Unsere Familie hat Schuld auf sich geladen. Ich habe verstanden, was du über unseren Onkel erzählt hast. Einen Verdacht hatte ich schon immer, jetzt aber gibt es die Gewissheit, und die macht mich nicht eben froh.«
»Ich weiß, dass es schlimm ist. Und ich weiß auch nicht, wie ich dich trösten soll …«
»Bring mich einfach um!«
»Unsinn. So etwas kann ich gar nicht. Das solltest du wissen. Ich kann doch nicht meinen Bruder töten!«
»Es ist aber besser. So wie ich aussehe, kann ich unmöglich zurück in mein Haus. Ich will mit diesem Aussehen nicht durch das Haus und den Ort laufen.«
»Das kann ich verstehen. Aber der Tod ist keine Lösung.«
In Grahams Augen schimmerten Tränen, als er die Antwort gab. »Doch, für mich ist er eine Lösung. So will ich einfach nicht leben, hörst du?« Er fing an, sich zu bewegen, drehte sich jetzt nach links, und seine Schwester wollte ihm helfen, was er ablehnte.
»Nein, nein, lass mich! Ich muss allein zurechtkommen. Zumindest bis zu meinem Ende.«
Es tat Mandy Hill weh, diese Sätze aus dem Mund ihres Bruders zu hören, aber sie sagte nichts, presste nur die Lippen zusammen und atmete durch die Nase. Trotzdem ließ sie ihren Bruder nicht aus den Augen, der sich plötzlich veränderte. Sein Gesicht erhielt einen angespannten Ausdruck. Die Augen waren leicht verdreht, und er nahm die Anwesenheit seiner Schwester kaum zur Kenntnis, weil er mit etwas anderem beschäftigt war.
Mandy entfernte sich von ihm und ging zu Suko. Noch auf dem Weg fragte sie: »Hast du das gesehen? Etwas stimmt mit ihm nicht. Das – das – weiß ich genau. So hat er sich noch nie benommen. Was ist
Weitere Kostenlose Bücher