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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
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schreiben. Noch waren seine Erinnerungen frisch und voller Zorn. Eine halbe Stunde später kam Kellermann und sie frühstückten traditionell gemeinsam vor dem ersten Schultag.
»Was’n los?«, fragte Kellermann und nickte zu dem gedeckten Tisch.
»Wie?«, antwortete Viktor mit einer Gegenfrage.
»Wo ist das Rührei und der Speck?«
»Mir war heut´ nicht danach.« Viktor wollte diesen weiteren Versuch abzunehmen als Geheimnis bewahren.
»Du hast doch nichts Schlimmes, oder?«, fragte Kellermann hartnäckig und besorgt nach, sah über seinen Brillenrand und bestrich sich eine Brötchenhälfte dick mit Butter.
»Quatsch. Nur mit Obst starte ich gerade einfach besser in den Tag.« Er reichte Kellermann eine Plastikbox mit Weintrauben. Gegenangriff.
»Nee … lass ma´«, schüttelte sein Kollege den Kopf und bestrich sich das Brötchen mit Mett – oder Feuerwehrmarmelade, wie sie es beide nannten. Von dem Vorfall auf dem Parkplatz berichtete Viktor nicht, sie tauschten sich über die vergangenen Ferien aus und lauschten gelegentlich dem stetig wachsenden Lärmpegel im Gang.
»So, wird wohl langsam Zeit.«
9 Uhr.
Kellermann stand auf, wischte sich die Krümel vom Blaumann und stellte das Geschirr in Viktors Wanne. Diese Woche hatte er Abwaschdienst.
Viktor blieb noch eine Weile sitzen und versuchte, sich zu beruhigen. Wie jedes Mal war er aufgeregt, wenn er vor eine völlig neue Klasse trat. Vor allem, wenn er eine Klasse von Kirschstein bekam, dem Schulleiter, der ihn per Mail gewarnt hatte. Er überflog die Namen und das Alter auf der Auszubildendenliste. Vier ältere Semester waren dabei, über 20 Jahre alt. Kirschstein hatte in seiner Mail nur allgemeine Hinweise gegeben, Viktor konnte die Aktenverstöße nicht den Namen zuordnen. Mit einem mulmigen Gefühl stand er auf und ging hinaus. Es war leise auf dem Gang.
Er betrat den Klassenraum um kurz nach 9. Am ersten Tag immer um kurz nach, die Schüler saßen dann meistens schon auf ihren Plätzen, hatten sich untereinander kurz kennengelernt und waren bereit für die erste Stunde. Kaum, dass er den Raum betreten hatte, blieb er erschrocken stehen. Die Tische waren hufeisenförmig angeordnet. Die hintere Reihe bot normalerweise 12 Schülern Platz, die beiden abgehenden Schenkel jeweils 6 Schülern. In der hinteren Reihe saßen 3 Schüler, die anderen quetschten sich an die übrigen Tische. Mit diesen drei hatte Viktor sich schon auf dem Parkplatz bekannt gemacht: ›Sean Voll‹, ›Konstant Breit‹ und der Unbekannte in der Gleichung. Breitbeinig zurückgelehnt, ›Sean‹ Kaugummi kauend, kippelten sie auf den Stühlen und grinsten ihn an. Es war still im Klassenraum. Außer den Dreien sahen alle anderen an die Tafel, aus dem Fenster, irgendwo hin … nur nicht zu ihm oder in die hintere Reihe. Ein Auszubildender stand in der Ecke, wie Viktor erst jetzt erkannte. So eine Situation hatte er noch nie erlebt, und er glaubte, die Ursache für die Stimmung zu kennen.
»Ich bitte Sie, sich erst einmal zu verteilen. Hinten ist noch genügend Platz in der letzten Reihe für alle. Sie brauchen sich nicht zu dritt einen Zweiertisch teilen. Und Sie dort in der Ecke, bitte suchen Sie sich auch einen Platz.«
Der langhaarige junge Mann in der Ecke schüttelte mit abgewandtem Blick den Kopf, der Rest ignorierte seine Ansprache. Viktor trat zu dem nächststehenden Tisch, an dem sie zu dritt saßen, und suchte sich willkürlich einen Schüler aus, den er direkt ansprach.
»Bitte nehmen sie jetzt in der letzten Reihe Platz. Hier ist es zu eng«, forderte er ihn auf. Der Junge sah zu Viktor hoch und verneinte kopfschüttelnd.
»Hören Sie, ich werde gleich ungemütlich, wenn sie sich meiner Anweisung widersetzen.«
Ganz bewusst mied Viktor die direkte Konfrontation mit den dreien. Er vermutete, sie hatten den Rest der Klasse eingeschüchtert. Das Verhalten der Klasse ängstigte Viktor, sie waren nahe dran, traumatisiert zu wirken.
»Die wollen nicht, Herr Schwabbel. Wir wollen alle so sitzen bleiben wie jetzt. Und der Kollege dort muss stehen, weil sich sein Beinleiden sonst verschlimmert«, sagte ›Sean Voll‹ und deutete mit dem Daumen seitwärts in die Ecke.
»Mein Name ist Vogel und für die Fortführung ihres unappetitlichen (Autsch, das war eine Vorlage) Verhaltens, werde ich Sie bei der Schulleitung melden.«
Die drei rührten sich nicht, starrten ihn weiter an. Gelangweilt sah ›Sean‹ aus dem Fenster, dann wieder zu ihm.
»Ehrlich, das sollten Sie nicht tun. Es wird

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