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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
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gefiel diese Härte an sich, aber er sah auch ein, dass er die richtige Balance finden musste. Sich über alles und jeden aufzuregen, war keine gute Charaktereigenschaft.
Er wog den Kürbis ab, den er heute zum Herbstfest seiner Weight Watchers-Gruppe mitnehmen sollte. 5,5 Kilogramm. Dann hatte er noch 2,1 Kilogramm übrig für Arme, Beine, Hände und Füße. Sie würden heute einen Kürbismann oder eine Kürbisfrau basteln, die ihrem abgenommenen Gewicht entsprach. Bei ihm waren es seit September insgesamt 7,6 Kilogramm. Innerhalb von sechs Wochen hatte er schon zwei Sternchen in sein Teilnehmerbuch geklebt bekommen, und auch wenn es ihm kindisch und naiv vorkam, wenn er darüber sprach, insgeheim war er stolz auf diese Sternchen und stolz auf den dicken Kürbis, den er mitbringen wollte. Die Füße würde er aus Äpfeln (160 und 150 Gramm), Arme und Beine aus Zucchini (1700 Gramm) und die Hände aus Kastanien basteln. Fast fand er es zu schade oder verschwenderisch mit Lebensmitteln zu basteln, aber Gabi (er duzte sich mittlerweile mit seinem Coach) zog den Vergleich zum traditionellen Ernte-Dank-Fest, wo auch Opfergaben bestehend aus Gemüse und Früchten gegeben wurden, und tatsächlich schmälerte er Viktors Bedenken. Er packte seine Sachen in einen Jutebeutel, schrieb Larissa einen Liebesbeweis auf einen Zettel, legte diesen auf das Telefon und machte sich auf den Weg.
Kalt. Es sollte Frost geben diese Nacht. Als er aus der Garage fuhr, glaubte er kurz eine Bewegung im Gebüsch gesehen zu haben. Wegen der Erinnerung an ihren letzten Grillabend bremste er und spähte hinaus, ließ den Motor aber laufen. Das unangenehme Gefühl verflog mit der Sicherheit seiner Wahrnehmung. Er hatte sich wohl geirrt.
Das Fest sollte bis um 13 Uhr dauern und Viktor war überrascht, wie viele Teilnehmerinnen eigentlich in seinem Kurs waren. Einige sah er zum ersten Mal und nach wie vor war er der einzige Mann in diesem Vormittagskurs; aber sowohl Gabi, als auch die Teilnehmerinnen fanden seine Anwesenheit erfrischend und angenehm. Er würde den Kurs mit seiner männlichen Perspektive bereichern, fanden viele, und das, obwohl er sich für ziemlich wortkarg hielt. Nach einer Erzählrunde und einigen Formalitäten bastelten sie gemeinsam ihre “Abnehm-Figuren“ und stellten sie auf einer langen Tischreihe in der Produktecke auf. Viktor hatte einen Halloween-Mund und Augen in den Kürbis geritzt, Arme und Beine mit Draht am Kürbis und die Hände und Füße mit Draht an den Zucchini befestigt. Zwar war seine Figur nicht die hübscheste, aber doch eine der stabilsten, und seine Hilfe wurde bei zwei weiteren Figuren benötigt. Nachdem alle fertig waren, setzten sie sich wieder hin und Gabi wartete bis Ruhe einkehrte.
»So, Eure Figuren sind fertig und sehen wunderschön aus«, begann sie und zeigte mit einer ausladenden Geste zum Tisch. »Und allen sieht man das Gewicht an. Man sieht ihnen an, dass sie schwer sind, und ich sehe ihnen an – nein, ich weiß – wie schwer es war, sie sich zu erarbeiten.«
Sie legte eine dramaturgische Pause ein und alle sahen sich die herbstlichen Kürbisfiguren an, die an Metallstangen auf einen Sockel aufgespießt nebeneinander standen. Seine grinste und berührte mit ihrer Hand eine wirre Kürbisfrau mit Maiskolbenkopf. Viktor stellte sich vor, wie sie Hand in Hand in den Sonnenuntergang liefen und lächelte still.
»Wir sind heute bis auf 2 Teilnehmerinnen vollzählig und insgesamt wiegen unsere Kürbisfiguren 279,4 Kilogramm.«
Wieder eine Pause. Viktor war beeindruckt.
»279,4«, wiederholte Gabi. Viele Teilnehmerinnen nickten anerkennend.
»12,7 Kilogramm haben wir im Durchschnitt abgenommen.« Gabi zog die Augenbrauen hoch und sah jeden Teilnehmer einzeln an. »Wahnsinn, oder?«
Viktor nickte, ließ seinen Blick über die Figuren schweifen und versuchte das jeweilige Gewicht der einzelnen Kürbisse zu ermitteln. Der Größte war ein runzeliger, fast gelber Kürbis mit grünen Schattierungen, er wog bestimmt 20 Kilo. Wieder versuchte er sich vorzustellen, jemand anderes würde dieses Gewicht zunehmen und war es vorher belustigend, so wurde er jetzt bei diesem Gedanken besinnungslos.
*
Sein Kürbis drehte sich ihm zu und sah ihn aus glühenden Augen an. Wie um seine Tauglichkeit zu überprüfen, bewegte er erst den linken Zucchini-Arm, dann den rechten. Kurz schlug er Maiskolbenkopf, die ihre Mähne erschrocken schüttelte und ihre glühenden Augen öffnete. Sie sahen sich an, nahmen sich an den

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