1724 - Die Heilige der Hölle
nachzuhallen.
Dann hörte er wieder die Stimme. »Bedanke dich bei mir, dass du noch am Leben bist. Ich hätte dich auch töten können.«
Godwin sagte nichts. Er wusste, dass sie in einer wilden Zeit lebten, in der nur das Recht des Stärkeren galt.
Plötzlich waren seine Schmerzen vergessen. Auf dem Boden liegend schrie er Wolfram von Stadinger an.
»Warum, zum Henker? Warum hättest du mich töten sollen? Es gibt keinen Grund, an so etwas überhaupt nur zu denken.«
Wolfram nickte. »Da irrst du dich. Es gib schon einen Grund.«
»Und welchen?«
»Weil du mir ihr unterwegs gewesen bist.«
Er hatte den Namen nicht erst nennen müssen, Godwin wusste, wen er meinte. Seine Worte flossen ihm wie von selbst über die Lippen. »Ich habe sie gerettet. Eine Frau, die ihr töten wolltet. Die eine Heilige ist, verstehst du?«
»Eine Heilige?«, höhnte der Mann.
»Ja!«
Wolfram beugte seinen Kopf vor. »Sie ist eine Heilige, und zwar eine Heilige der Hölle!« Die letzten Worte hatte er geschrien, und seine Augen fingen an zu glänzen.
Der Templer sagte nichts. Er bewegte sich auch nicht. Aber seine Gedanken drehten sich, als befänden sie sich in einem Kreisel.
Und doch gab es einen Punkt, an dem das Gedankenkarussell anhielt.
Eine Heilige der Hölle!
Er hatte es schon von Bettina gehört. Doch wie konnte Wolfram so etwas behaupten? Das glaubte er nicht, das wollte ihm nicht in den Kopf. Er wäre am liebsten aufgesprungen, um Wolfram die Faust ins Gesicht zu dreschen, aber er ließ es bleiben und starrte ihn nur an.
»Was ist, Godwin?«
»Ich glaube dir nicht!«
»Warum nicht?«
»Weil sie in einem Kloster aufwuchs. Sie erzählte mir, dass sie ein Findelkind gewesen ist. Niemand kannte ihre Eltern. Da haben sich die frommen Frauen ihrer angenommen. So ist das und nicht anders. Alles klar?«
Wolfram von Stadinger schüttelte den Kopf. »Ich hätte dich nicht für so einfältig gehalten.« Er beugte sich vor und legte seine Hände flach auf die Oberschenkel. »Diese Nonnen haben das Kind aufgenommen, aber sie wussten nicht, dass sie eine Schlange an ihrem Busen genährt haben. So ist das gewesen.« Er grinste jetzt. »Und dich Tölpel hat sie für sich einspannen können.«
Godwin de Salier blieb auf dem Boden liegen und fing an, nachzudenken. Ihm fiel ein, dass die Menschen in der Siedlung so seltsam bei ihrem Anblick gehandelt hatten. Als hätten sie gespürt, dass etwas mit der Frau an seiner Seite nicht stimmte.
»Was haben denn die Nonnen getan?«
Wolfram richtete sich wieder auf und winkte ab. »Zuerst lief alles normal in den Jahren. Zwar gab es einige Vorfälle, die aber nicht weiter schlimm waren. Bis dann etwas anderes passierte, und das war schon böse. Da sind Kreuze in Brand gesteckt worden, der Altar wurde besudelt, und die Nonnen sind davon ausgegangen, dass es fremde Personen gewesen sind. Bis man deiner Heiligen auf die Spur kam. Aber da war es zu spät. Da hatte sie bereits zwei Nonnen getötet, auf den Altar gelegt, sie ausgezogen und mit ihrem Blut ein umgedrehtes Kreuz auf den nackten Körper gemalt. Und jetzt sag du etwas dazu.«
Das konnte Godwin nicht. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Wieder drehte es sich hinter seiner Stirn, aber diesmal waren es die Gedanken, die sich allmählich in Vorwürfe verwandelten.
Soll ich so falsch gelegen haben? Bin ich auf eine Frau reingefallen, die Kontakt zur Hölle hatte?
Er wusste es nicht.
Dann fiel ihm eine wichtige Frage ein. »Was habt ihr mit Bettina jetzt vor?«
»Rate mal.«
»Sag es mir.«
Wolframs Augen bekamen plötzlich einen leicht irren Glanz, als er fragte: »Was macht man denn wohl mit Heiligen, die der Hölle zugetan sind?« Er kicherte. »Soll ich es dir sagen? Ja, das werde ich. Man vernichtet sie.«
Godwin schwieg. Er war nicht überrascht, so etwas zu hören. Er wusste, dass es Frauen gab, die gejagt wurden. Viele sahen sie als Hexen an oder böse Weibsleute. Sie wurden gefürchtet und meist in Ruhe gelassen.
Hatte Bettina tatsächlich den Tod verdient?
Er konnte es nicht glauben.
Wolfram ließ dem Templer Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Zwischen ihnen war es still geworden. Deshalb drangen die Geräusche aus dem Hintergrund deutlicher an Godwins Ohren. Er hörte das Lachen der Männer, die den Wein aus großen Krügen tranken und dabei ihren Spaß hatten. Die Vorfreude auf den Tod der Frau war groß.
Godwin hatte nicht viel aus dem Mund des Narbigen gehört. Auch das Wenige musste er erst verkraften. Er
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