1724 - Die Heilige der Hölle
dachte daran, hier völlig falsch zu sein. Noch immer fühlte er sich für Bettina verantwortlich. Dass er sie nicht hatte beschützen können, nagte an ihm. Sie hatte den Tod trotz allem nicht verdient, nicht in seinen Augen.
Wolfram sprach ihn wieder an. »Na, was denkst du? Habe ich dich überzeugen können?«
»Ich glaube nicht.«
Der andere lachte laut. »Das wird dir nichts nützen. Sie bekommt das, was sie verdient hat. Sie hat mit der Hölle gebuhlt. Sie ist eine Heilige des Teufels. Das haben auch die Nonnen gemerkt und sie deshalb verstoßen.«
Godwin fragte mit leiser Stimme: »Was habt ihr mit ihr vor?«
»Rate mal.«
»Wollt ihr sie den Flammen übergeben?«
Wolfram riss seinen Mund auf und lachte. »Nein, nicht dem Feuer. Wir haben etwas Besonderes mit ihr vor. Wir werden sie ertränken. Sie wird in den Brunnen gestoßen. Versenkt in der Tiefe. Sie wird dort ertrinken und verrecken, und kein Teufel kann ihr noch helfen. Das werden wir tun.«
Godwin versuchte es ein letztes Mal. »Und wenn sie unschuldig ist? Was ist dann?«
»Sie ist nicht unschuldig. Sie hat mit dem Satan gebuhlt, verdammt!«
Godwin kannte die Wutausbrüche des Narbigen. Er hielt sich deshalb zurück. Wenn er sich zu sehr auf die Seite der Frau stellte, würde Wolfram auch ihn töten.
»Hast du das verstanden?«
Der Templer kam sich gedemütigt vor. Er wusste, dass er nichts tun konnte, und deshalb stimmte er zu.
»Ich habe alles verstanden.«
»Dann sind wir zufrieden.«
Godwin drehte sich zur Seite. Er wollte aufstehen, was ihm nicht gelang, denn der Schwindel trieb ihn nach vorn, und er war froh, sich abstützen zu können.
»So schwach?«, höhnte Wolfram.
Godwin gab keine Antwort. Er riss sich zusammen, um keine Schwäche zu zeigen. Wenn er atmete, hörte er pfeifende Laute über seine Lippen dringen. In seinem Kopf tuckerte es noch immer, und er schaffte es unter großen Mühen, auf die Füße zu kommen.
Er stand, er schwankte. Schweiß drang ihm aus den Poren. Mit offenem Mund holte er Luft.
»Du kannst zuschauen, Godwin«, sagte Wolfram von Stadinger.
»Das werde ich auch.«
»Soll ich dich halten?«
Der Templer warf den Kopf nach hinten, was ein Fehler war, denn die Schmerzen nahmen zu. Aber er sank nicht mehr zu Boden. Er war es gewohnt zu kämpfen, auch dann, wenn er gegen sich selbst angehen musste.
So schaffte er es, die ersten Schritte zu gehen. Zwar leicht schwankend, aber immerhin. Er folgte Wolfram mit kleinen Schritten.
Dass der Brunnen in der Nähe lag, stand für ihn fest. Nur gesehen hatte er ihn noch nicht. Sie gingen dorthin, wo Wolfram von Stadingers Männer warteten. Sie hatten einen Kreis gebildet. Manche hockten auf dem Boden, andere hatten höhere Steine gefunden und darauf Platz genommen.
Einer kümmerte sich um das Weinfass. Roter Rebensaft floss in die Becher und wurde getrunken. Die Männer hatten schon viel davon zu sich genommen. Sie konnten kaum noch normal sitzen. Wenn sie sprachen, dann taten sie es mit schwerer Zunge.
Bettina lag etwa eine Schrittlänge vom Weinfass entfernt auf dem Boden. Aufstehen konnte sie nicht. Man hatte sie gefesselt und an die Stricke Steine befestigt, deren Gewicht sie am Boden hielt.
Im Hintergrund sah der Templer eine Bewegung. Dass er angestarrt wurde, kümmerte ihn nicht. Und auch nicht, dass Bemerkungen über ihn gemacht wurden, denn er hatte etwas im Blick, das sich ihm langsam näherte.
Ein Feuer brannte nicht weit entfernt. Die Flammen schlugen nicht besonders hoch. Ihr Schein jedoch reichte aus, um Godwin erkennen zu lassen, dass sich ihm ein Mann näherte, der etwas Besonderes sein musste. Er trug einen langen Mantel. Sein Haar war weiß und wuchs lang bis in den Nacken. Flankiert wurde er von zwei Gestalten, die aussahen wie Mönche, weil sie Kutten trugen und die Kapuzen hochgeschlagen hatten. Sie rahmten den Weißhaarigen ein und waren offenbar seine Leibwächter. Der Mann selbst hielt einen langen Stab in der Hand, der an seinem Ende so etwas wie eine Schleife oder einen Haken bildete.
»Wer ist das?«
Wolfram hatte die Frage gehört. »Es ist der Adept.«
Er deutete auf ihn. »Ein Eingeweihter, der alles kennt. Er ist hier, um uns seinen Segen zu geben.«
Godwin sagte nichts. Er konnte sich allerdings vorstellen, was das bedeutete. Er würde Spaß daran haben, die Frau in den Brunnen zu werfen. Vielleicht war er auch ein Vertreter des Klerus. Im Prinzip war alles möglich.
»Kennst du ihn?«
»Wir haben ihr extra
Weitere Kostenlose Bücher