1739 - Der Tabubrecher
flehentlich. „Wir sitzen hier schon so lange ohne Nachrichten..."
„Die Lage ist unverändert", antwortete der Thean.
Dag-Rorn musterte ihn so eindringlich, wie er es sich gerade noch leisten konnte, ohne sich eine Rüge einzuhandeln. Er kannte Pi-Poul bereits zu lange; er hatte zu eng mit ihm gearbeitet, um sich täuschen zu lassen.
Der Thean sagte nicht die Wahrheit. Er verbarg etwas - einen Schmerz, den er zu verbergen versuchte. Und über den er jetzt nicht sprechen wollte. Dag-Rorn mußte dies akzeptieren.
Aber wenigstens konnte er sich darauf vorbereiten, daß es Probleme geben würde. Er mußte die Augen offenhalten.
*
Bald darauf betrat Pi-Poul Thean mit Perry Rhodan zusammen eine Space-Jet der CIMARRON. Der Raunach versuchte seine Nervosität zu verbergen, indem er seinen Helm tief in die Stirn zog und sich in seine weiten Kleider hüllte. Rhodan entging dies natürlich nicht, aber er reagierte nicht darauf.
Er konnte sich vorstellen, was in dem kleinen alten Mann vor sich ging, dessen ganzes Leben von einer strengen Ideologie beherrscht war. Nach dieser Lehre war es absolut unmöglich, daß sich eines Tages die Ansichten oder gar Gesetze ändern konnten.
Verblendet und absolut einseitig, wie so viele Religionen oder politische Strömungen, die er von seiner Jugend auf der frühen Erde her noch in Erinnerung hatte.
Um so mehr mußte er Pi-Poul bewundern, der den Mut aufbrachte, sich gegen diese überlieferte und kompromißlose Ideologie zu stellen und sie zu hinterfragen. Das Wagnis war so groß, weil sein Verstand die Wahrheit womöglich nicht ertragen konnte - oder weil die uralten Gesetze recht hatten und er sterben mußte.
Während er sehr langsam zur Planetenoberfläche hinunterflog, versuchte Perry Rhodan Pi-Poul durch Fragen von einer Nervosität abzulenken.
„Gibt es bei euch eigentlich eine Art Zeremonie, wenn ihr Thean werdet?"
„Eine sehr große Feier", nickte Pi-Poul. „Alle Prüflinge, die die Prüfung bestanden haben, werden auf einen bestimmten Planeten nahe der Hohen Gerichtsbarkeit gebracht, der speziell für dieses Ritual vorgesehen ist. Zur Weihe kommen nämlich alle amtierenden Theans, der Kommandostab der Wächter und sämtliche Familien. Je nachdem, wie viele Absolventen es sind, treffen so viele tausend Leute ein, daß die Feierlichkeiten räumlich und zeitlich aufgeteilt werden müssen.
Die Feier dauert drei Tage. Für mich selbst waren es trotz aller Freude in gewissem Sinne auch traurige Tage, denn ich wünschte mir, daß Rir-Kuum dabeigewesen wäre. Aber immerhin kamen meine gesamte Familie und adelige Freunde mit vielen Geschenken.
Damals erhielt ich die KHONIN als Geschenk meiner Familie. Jenes Schiff, mit dem ich havarierte. Es war ein prachtvolles Schiff, das mir so viele Jahre über treu gedient hat, daß ich den Verlust wirklich als schmerzlich empfinde. Es war mir zur wahren Heimat geworden, zur Höhle der Geborgenheit, in der ich in Ruhe nachdenken konnte."
Pi-Poul griff plötzlich in eine der vielen, größtenteils verborgenen Taschen seines Umhangs. Die Raunach-Gewänder waren nicht nur vom Stoff her üppig, sondern auch von der Ausstattung. In vielen Falten und Taschen war Platz für alle möglichen Ausrüstungen und technische Geräte.
Der alte Thean zog eine kleine, aufwendig verarbeitete und verzierte Kette aus einem unbekannten, rötlichgold schimmernden Edelmetall hervor, in die kunstvoll verschlungene Knoten eingearbeitet waren.
„Diese Kette war das Abschiedsgeschenk meines Lehrers. Wie du siehst, habe ich sie mein Leben lang behalten. Sie ist tatsächlich eine echte Richtschnur, wie ich sie besser nicht hätte knüpfen können. Sie war die geheime Richtschnur meines Lebens, die ich stets bei schwierigen Entscheidungen befragte. Und sie erinnert mich an all die vielen Ratschläge und Lebensweisheiten, die mein alter Lehrer mir mitgeteilt hat." Der Thean verzog sein Gesicht.
„Der wichtigste Ratschlag war: Sei stets flexibel und offen gegenüber Neuerungen oder anderen Denkweisen. Hör dir alles an, ohne dich beeinflussen zu lassen, wäge es in aller Stille ab und bilde deine eigene Meinung.
Laß dich niemals nur von den Gesetzen der Allgemeinheit leiten, sondern folge vor allem deinem gesunden Verstand, deiner Sensibilität gegenüber der Umwelt. Denn nichts ist endgültig, es gibt immer ein anderes Leben und damit andere Gesetze, so unendlich wie das Universum um uns herum."
*
Pi-Poul beugte sich etwas nach vorn und
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