1763 - Einer sieht alles
sagte Jane. »Das ist nicht nötig. Ich denke, dass wir noch mal wiederkommen.«
»Klar.« Er hob seine Schultern an. »Verdammt kalt hier.«
»Da sagen Sie was.«
Wir traten den Rückweg an. Wenn mich einer gefragt hätte, ob ich zufrieden gewesen wäre, dann hätte ich verneint. Ich war nicht zufrieden, mein Gefühl sagte mir, dass wir hier etwas verpasst hatten, doch ich wusste nicht, was es gewesen war. Ich war mir auch keiner Schuld bewusst, aber es hätte einiges anders laufen können, das jedenfalls glaubte ich.
Auch Jane Collins war nicht eben angetan. Sie schaute zu Boden und hing ihren Gedanken nach.
Ich öffnete die Tür, stoppte sie noch, ließ sie etwas auf und fragte: »Was ist los?«
»Nichts eigentlich.«
»Aber...«
Sie lachte etwas unwillig. »Ich weiß es auch nicht, John. Ich habe das Gefühl, ins Leere gefasst zu haben, obwohl sich hier ein Ziel befunden hat.«
»Aha.«
Sie sah mich an. »Du auch?«
»Etwas Ähnliches.« Ich ging von der Tür weg und sah, dass sie dabei war zuzufallen.
Nur fiel sie nicht zu, denn erneut wurde sie von mir gestoppt. Das hatte seinen Grund, denn beide hatten wir den Schrei aus dem Innern des Hauses gehört...
***
Das Böse war wie ein Motor, der die junge Frau antrieb. Nancy Wilson hatte sich entschlossen, in die obere Etage zu gehen, um dort zu zeigen, wer sie wirklich war.
Nancy war waffenlos, was ihr nichts ausmachte. Sie wusste, dass sie Gegenstände finden konnte, die sich als Waffen eigneten. Je höher sie ging, umso mehr verstärkte sich das Gefühl in ihrem Innern und trieb sie an.
Sie freute sich auf das, was vor ihr lag. Sie wusste auch nicht, wen sie sich vornehmen sollte oder wer ihr in die Quere kam, letztendlich war es ihr egal, wen sie tötete. Ob es sich nun um einen Erwachsenen oder um ein Kind handelte.
Sie schritt ganz normal die Stufen hoch und versuchte auch nicht, die Schritte zu dämpfen. Wir da oben, ihr da unten. So konnte man das Haus einteilen. Die da unten blieben in ihrem Bereich, sie kamen so gut wie niemals hoch, aber viel anders als unten sah es in diesem Bereich auch nicht aus.
Es gab auch hier vier Wohnungen. Nur lagen sich die Türen gegenüber und bildeten keine Reihe.
Sie blieb stehen, als sie die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte. Das Flurlicht hatte sie die ganze Zeit über begleitet und war auch jetzt noch vorhanden.
Sie konnte sich die Tür aussuchen. Vier standen ihr zur Verfügung. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Dann entschied sie sich, bei der Tür zu beginnen, die ihr am nächsten lag.
Nancy Wilson spürte den Drang in sich. Ja, das war ihr Motor, der sie antrieb. Sie wollte Blut sehen. Sie wollte sich an der Angst ihres Opfers weiden. Das Auge war für sie perfekt. Es war der Antrieb, den sie nie vergessen würde. Sie wollte Blut fließen sehen und sich daran ergötzen.
Wer wohnte wo?
Die Namen sagten ihr nichts. Auch die Mieter konnte sie sich nicht vorstellen. Es war möglich, dass jemand allein hier lebte, aber auch mehrere Personen, da würde sie schauen müssen.
Dann drückte sie dort auf dem Klingelknopf, wo das Schild mit dem Namen Miller stand.
Jetzt war sie gespannt. Die Klingel hatte sie innen anschlagen gehört. Es war sogar ein recht hartes Geräusch gewesen, das jeden aus dem Schlaf riss.
Nancy hörte Schritte. »Scheiße, wer ist denn da?« Der Mann, der diese Worte gesprochen hatte, wartete nicht erst ab, bis sich jemand gemeldet hatte, er riss die Tür sofort auf – und zuckte zurück, als er die Frau sah.
Aber er ging nicht weg, blieb stehen und hinterließ den Eindruck eines Mannes, der dabei war, stark nachzudenken, ob er die Besucherin schon mal gesehen hatte oder nicht. Nancy Wilson grinste, bevor sie nickte und nur ein Wort sagte: »He...«
Miller, ein Mann mit Bart und einem dunklen Pelz aus Haaren auf der Brust, was wegen des ärmellosen Unterhemdes besonders gut zu sehen war, stutzte und runzelte die Stirn.
Nancy klärte ihn auf. »Ich bin eine von dort unten und heiße Nancy Wilson.«
»Aha, wie toll.« Miller grinste mit seinen fettigen Lippen. »Und was wollen Sie?«
»Das sage ich Ihnen drin.«
»Wieso? Ich...«
Sie war abgebrüht und ging einen Schritt vor. Jetzt war sie in der Wohnung, drehte sich auf der Stelle um und fragte: »Sind Sie allein?«
»Wieso?«
»Ob Sie allein sind?«
»Nein, meine Frau ist noch da.«
»Wo denn?«
»Im Bad.«
»Aha.«
Miller wollte fragen, was die ganze Fragerei sollte, aber dazu kam es nicht mehr, denn
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