1763 - Einer sieht alles
Wände zu scheuchen.
Durch die offen stehende Tür konnte ich die Wohnung betreten und ging auf leisen Sohlen. Ich schaute mich um, rechnete auch mit einer Gefahr, doch da tat sich nichts. Es blieb still. Für meinen Geschmack sogar zu still.
Ich ging weiter und schaute in den ersten Raum hinein, dessen Tür offen stand.
Dabei hatte ich das Gefühl, einen schweren Schlag zu bekommen. Es war einfach nur schlimm. Unter dem Küchentisch lag ein Toter. Auf dem Boden klebte ein wenig Blut, und ich hatte eine Ahnung, dass diese Entdeckung erst der Beginn war.
Wenn ich mich recht erinnerte, hatten wir einen Frauenschrei gehört, und der Tote hier war ein Mann. Vielleicht der Ehemann, der Bruder oder ein Freund.
Ich wusste es nicht. Ich fragte mich nur, wo die Frau steckte, deren Schrei wir gehört hatten.
Plötzlich war Jane da. Sie schob ihren Kopf an meiner Schulter vorbei, sah die Leiche ebenfalls und schaute mich an.
Ich konnte nichts sagen und nur die Schultern anheben. Jane atmete durch. »Hast du etwas gesehen?«
»Nein.«
»Aber geschrien hat eine Frau.«
»Ja.«
»Und hast du den Killer gesehen oder die Frau?«
»Nein, Jane, beide nicht.« Nach dieser Antwort zog ich meine Pistole, wobei Jane es mir nachtat. Für einen winzigen Moment blickten wir uns an, dann nickten wir uns zu. Der Startschuss für die gemeinsame Mördersuche.
Der Täter war noch hier. Das sagte mir mein Verstand und auch das Gefühl. Nicht immer lagen sie auf einer Linie, in dem Fall schon.
Aber er verhielt sich still und schien auf einen günstigen Fluchtweg zu lauern. Bisher war uns kein Mensch entgegen gekommen, und auch die Fenster waren geschlossen, ich hatte keinen Durchzug gespürt.
»Ich sehe alles...«
Jane stieß mich an. »Was hast du gesagt?«
»Ich?«
»Ja.«
»Sorry, aber ich habe nichts gesagt, ehrlich nicht.«
Jane runzelte die Stirn. »Aber ich habe doch eine Stimme gehört, das steht fest.«
»Welche Stimme denn?«
Jane zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, das kann ich nicht sagen, ich weiß es nicht, ich weiß auch nicht, ob diese Stimme männlich oder weiblich gewesen ist. Aber dass es eine Stimme war, das steht für mich fest.«
»Und was hat sie gesagt?«
Jane musste nicht lange nachdenken. »Ich – ich – sehe alles.«
Damit konnte ich nichts anfangen und fragte: »Bist du dir sicher?«
»So gut wie.«
»Aber du weißt nicht, wer das gesagt haben könnte?«
»Nein, natürlich nicht.« Jane fuchtelte mit den Händen. »Und gesehen habe ich auch niemanden.«
»Okay.« Ich fragte nicht weiter. Zudem wollte ich Jane nicht verunsichern, aber ich dachte schon einen Schritt weiter. Es war mal wieder durchaus möglich, dass wir in einen Fall hineingeraten waren, der uns anging. Um den wir uns kümmern mussten. Alles andere durfte jetzt nicht interessieren.
Wieder dachten wir an den Killer. Wir hatten ihn noch nicht aus der Wohnung flüchten sehen. Er hätte an unserer Tür vorbei gemusst, und es war nur die Küche, die wir gesehen hatten. Es gab auch andere Räume, die wir uns vornehmen mussten.
Auf ein Kopfnicken hin setzten wir uns in Bewegung. Hier war alles recht klein, und vom Flur her war praktisch alles zu überblicken.
Wir hörten ein Geräusch.
Ein Plätschern von Wasser. Nicht weit entfernt, aber durchaus hörbar. Jeder von uns dachte an ein Bad, und wir hatten auch schon einen gewissen Duft wahrgenommen oder einen Geruch nach einem Badesalz oder Duschmittel.
Das Bad lag der Küche schräg gegenüber. Die Tür stand offen, war aber so angelehnt, dass wir nicht in den Raum hineinschauen konnten.
Das änderte sich sehr schnell. Ich hatte kein gutes Gefühl, als ich die Tür öffnete. Die Beretta in meiner rechten Hand schien schwer geworden zu sein. Das leise Plätschern war nicht mehr zu hören. Ich musste die Tür auch nicht bis zum Anschlag aufdrücken, es reichte ein Teil davon, und so schickte ich meinen Blick in das Bad hinein. Ich sah eine Badewanne, ich sah das Wasser darin und auch die hellrote Farbe, aber auch noch mehr.
Da war der Kopf. Da waren die schwarzen Haare der Frau. Der offene Mund, die schiefe Haltung, die nasse Haut und auch die offenen Augen.
In der Wanne lag die zweite Leiche!
***
»Und sie hat noch geschrien«, flüsterte Jane Collins, die die Tote jetzt auch gesehen hatte, »aber wir haben ihr nicht helfen können und sind zu spät gekommen.«
Die Detektivin war es gewohnt, schlimme Bilder zu sehen. Dieses hier gehörte dazu. Es war eine Szene des
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