1763 - Einer sieht alles
nicht, denn Greta Miller erinnerte sich daran, sie schon mal im Haus gesehen zu haben. Obwohl das Wasser noch fast heiß war, fing Greta an zu frieren. Die Frau machte ihr Angst, und das lag auch an dem irren Blick.
Die Frau in der Wanne hatte das Gefühl, etwas ganz Böses zu erleben. Eine Szene, die nicht in die Realität gehörte, die aber trotzdem vorhanden war, als hätte man sie einfach aus einem brutalen Film herausgerissen.
Über Gretas nackte Schultern, die aus dem Wasser ragten, rann eine zweite Haut. Die Frau hörte nichts weiter aus ihrer Wohnung, und das sorgte für eine besondere Furcht.
Jetzt kam ihr George wieder in den Sinn. »Wo ist mein Mann?«, flüsterte sie.
Die Frau an der Tür kicherte.
»Verdammt, wo ist er? Wer sind Sie?«
»Ich bin Nancy...«
»Okay, Nancy, dann kannst du mir sicherlich sagen, wo sich mein Mann befindet.«
Sie nickte. »Ja, das kann ich.«
»Und – und – wo ist er?«
»In der Küche.« Sie kicherte wieder. »Ich habe ihn in der Küche gelassen.«
Greta hatte jedes Wort gehört. Besonders die letzten waren ihr bitter aufgestoßen.
»Gelassen?«, fragte sie.
»Ja, das hast du richtig gehört, ich wollte ihn nicht mitschleppen. Er ist mir zu schwer. Deshalb habe ich ihn in der Küche gelassen. Ach ja, er ist auch tot.« Jetzt zeigte sie ihre rechte Hand, die bisher hinter ihrem Rücken versteckt gewesen war.
Die Hand war nicht leer. Die Finger waren um den Griff eines Messers gekrallt, das die Frau jetzt anhob. Auf der Klinge perlte noch das Blut des Toten.
Greta Miller starrte das Messer an. Sie wollte es nicht glauben, konnte es nicht fassen, aber es war eine Tatsache. Das Messer zeigte noch das Blut eines Menschen.
»Na...?«
Greta Miller wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte. Bisher hatte sie einen Funken Hoffnung gehabt, nun aber musste sie einsehen, dass es keine Hoffnung mehr für sie gab.
Nancy Wilson lachte. »Er ist dir schon vorausgegangen, will ich dir sagen. Du wirst ihm folgen, alle, die mir im Weg stehen, werden ihm folgen. Ich muss dem Auge einen Gefallen tun, damit es mich akzeptiert.«
Sie blieb nicht mehr stehen. Mit Schrecken schaute Greta Miller zu, wie diese Frau auf sie zukam. Sie schwang ihren rechten Arm dabei vor und zurück. Genau diese Bewegungen machte auch das Messer mit.
Greta Miller konnte nur die Klinge anschauen, doch die Gedanken waren bei ihrem Mann. Hatte es ihn wirklich erwischt? War er tot? Umgekommen durch das Messer dieser Frau?
Sie konnte es nicht glauben, aber wenn sie recht darüber nachdachte, dann lag es auf der Hand. Das Motiv kannte sie nicht. Da war eine Irre freigelassen worden. Eine Person, die andere, ihr fremde Menschen einfach niederstach.
Das war grauenvoll.
»Und jetzt bist du an der Reihe!«
Nancy war nahe an die Frau herangekommen.
Greta sagte nichts mehr. Sie konnte es nicht. Ihre Hände und die Unterarme kreuzte sie vor der Brust. Ihr Gesicht zeigte so gut wie keinen Ausdruck mehr, und dann sah sie, wie die andere Frau den rechten Arm mit dem Messer hob.
Sie zielte genau.
Dann stach sie zu.
Und in diese Stiche hinein, die Kopf und Körper der Frau trafen, gellten ihre schrecklichen Schreie...
***
Es war nicht nur ein Schrei gewesen, uns hatten mehrere erreicht, und sie hatten sich angehört wie die Schreie eines Menschen, der sich in höchster Lebensgefahr befand, denn da kannten wir uns aus.
Natürlich waren wir nicht mehr draußen. Das Echo des Schreis schwebte noch in unseren Ohren, da waren wir bereits wieder im Flur. Diesmal blieben wir nicht unten, denn wir beide wussten, dass der Schrei von oben gekommen war.
Und da gab es die Treppe, die wir hoch mussten. Jane und ich waren in das Haus hineingerannt. Bei unserem schnellen Stopp rutschten wir leicht, wobei Jane sich besser fing als ich und bereits vor mir die Stufen hoch stürmte. Es war nicht hell.
Es war aber auch nicht dunkel, man konnte von einem Dämmerlicht sprechen, das durch eine offene Tür fiel und uns einigermaßen den Weg wies.
Jane Collins gehörte zu den sportlichen Personen, die immer gut in Form waren. Ich holte sie bis zur ersten Etage nicht ein, und als sie die erreicht hatte, wurde sie vorsichtiger, denn dort spielte sich das Geschehen ab.
Einen Schrei hörten wir nicht mehr. Dafür andere Geräusche, die wir im Moment nicht identifizieren konnten. Ich hatte Jane erreicht, konnte ihr aber keine Frage stellen, weil sie dabei war, die aus den Wohnungen kommenden Nachbarn wieder zurück in ihre vier
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