1775 - Totenwelt
Atmung beschleunigte sich, und urplötzlich sprang sie so heftig auf, dass Jane erschrak.
»He, was ist denn?«
»Ich habe es!« Serena war in eine Starre verfallen. »Ja, ich habe es gespürt.«
»Was hast du gespürt?«
»Dass wir hin müssen. Diese Schädel sind die Lösung. Ich habe den Eindruck gehabt, als würden wir uns kennen.«
»Wieso?«
»Ja, Jane. Einige der Schädel und ich. Als lägen sie auf meiner Linie. Da gibt es nichts zu deuteln. Wir müssen hin.«
»Gut. Die Ausstellung ist noch eine Weile geöffnet, das packen wir.«
»Und wann sollen wir gehen?«
»Gleich morgen.«
»Das hätte ich auch vorgeschlagen. Ich sage dir, Jane, diese Schädel sind etwas Besonderes.«
»Positiv oder negativ?«
»Das wird sich noch herausstellen...«
***
Peter Dryer war zwar nicht mehr der Jüngste, doch in seinem Alter zwei Jobs zu haben, das machte ihn stolz. Jobs, die in der Nacht durchgezogen werden mussten. Der Mann mit den eisgrauen Haaren und dem Knebelbart arbeitete als Nachtwächter. Von seiner Körpergröße her war er jemand, der andere Menschen einschüchtern konnte, und als Nachtwächter stellte ihn jede Firma gern ein.
Dryer arbeitete zwar in einem Job, er wurde jedoch an mehreren Stellen eingesetzt. Er war ein Springer. Wenn mal ein Kollege krank war oder aus anderen Gründen fehlte, füllte Dryer diese Lücke. Er fand sich überall zurecht, was man nicht von jedem Mitarbeiter der Firma sagen konnte.
Er war aber auch froh, wenn er mal einen Job länger ausüben konnte. In diesem Fall hatte er das Glück gehabt, er konnte länger in einem Job arbeiten. Es ging um die Ausstellung in einem kleinen Museum, und es handelte sich dabei um eine besondere Ausstellung. Sie bestand aus Totenschädeln.
Kleine, große, alte und jüngere. Manche verziert oder geschmückt, andere wiederum kahl und mit Kugellöchern in den Schädeln.
Schädelkult hieß die Ausstellung, und sie war gut besucht, denn irgendwie zogen diese Schädel die Menschen an. Junge Menschen vor allen Dingen, die sich gruseln wollten.
Man hatte davon gesprochen, dass diese Schädel zum Teil sehr wertvoll waren, deshalb mussten sie auch bewacht werden. Es gab immer wieder Verrückte, die auf Totenschädel standen, sie stahlen, um mit ihnen ihre schwarzen Messen oder Feten zu feiern.
Bisher war nichts passiert, und Peter Dryer hoffte, dass es auch in dieser Nacht so bleiben würde.
Das kleine Museum lag in einer ruhigen Seitenstraße, in der nie viel passierte. Die wenigen Häuser waren zwar nicht unbewohnt, aber die Mieter ließen sich bei Dunkelheit so gut wie nie blicken.
Vor dem Museum standen zwei hohe Ahornbäume. Als Parkfläche war das Gelände nicht geeignet, aber in der Nacht störte sich niemand daran, und so stellte Peter Dryer seinen schwarzen Ford Fiesta zwischen den Bäumen ab.
Er stieg aus, schnupperte die kühle Luft und bewegte sich dann mit etwas steifen Schritten auf die Eingangstür zu. Sie war nicht besonders groß, wurde aber von zwei Säulen flankiert, die ihr etwas Erhabenes geben sollten.
Den Schlüssel hielt Dryer bereits in der Hand, als er vor der Tür anhielt. Zwei Schlösser mussten geöffnet werden, dann konnte er das Museum betreten.
Es war noch nicht zu spät. Die Dunkelheit war noch nicht lange präsent. Einen Hinweis auf einen Einbruch entdeckte der Mann nicht, und so drückte er die Tür auf.
Er nahm den typischen Museumsgeruch wahr. Ein bisschen alt, auch nach Reinigungsmitteln riechend, aber das würde sich im Ausstellungsraum ändern. Dort sorgte eine Klimaanlage für die richtigen Temperaturen.
Dryer schloss die Tür hinter sich und schaltete das Licht ein. Es war nicht die normale Beleuchtung, sondern die Notleiste, wie er immer zu sagen pflegte. Leiste deshalb, weil die Beleuchtung eben hinter einer solchen versteckt war. Ihm reichte die Helligkeit aus, als er durch den Flur ging, dessen Boden wieder so blank geputzt aussah, als könnte man davon essen.
Es gab in diesem gar nicht mal so kleinen Haus verschiedene Räume. Nicht nur unten, sondern auch in der ersten Etage und unter dem Dach. Manche Ausstellungen benötigten eben viel Platz. Diese hier nicht. Die Schädel standen nur in den unteren Räumen, was dem Nachtwächter große Wege ersparte.
Nicht wenige dieser Exponate standen hinter Glas und waren auch gegen Diebstahl gesichert. Der Nachtwächter hatte von archäologischen Sensationen gehört. Da gaben bestimmte Sammler die Trophäen nicht gern aus den Händen.
Peter Dryer
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