1784 - Rückzug oder Tod
Jemand - oder etwas - hatte ihn schon vorher hinterrücks getötet. Es gab keine Aufzeichnungen, nichts, was geholfen hätte, den oder die Täter zu identifizieren.
Die Stimmung im Kommando Gonozal wurde noch gedrückter, als sie ohnehin schon gewesen war.
Bisher hatte der unsichtbare Gegner sich nur an den Androgynen vergriffen. Der Verlust einiger Roboter tat zwar weh, aber er ließ sich verschmerzen.
Mit Lorn Tabbars Tod war jedoch eine neue Runde im Kampf um NETWORK eingeläutet worden.
*
„Jeden Moment kann es einen neuen Zwischenfall geben", sagte Dao-Lin-H'ay, „und wir haben keine Möglichkeit, das zu verhindern."
Bis auf den Helm hatte sie ihren SERUN geschlossen. Trotzdem sah ich, daß ihr Fell matt geworden war. Sie sorgte sich um Tekener - nach Lorn Tabbars tragischem Tod - mehr als zuvor.
Und ich konnte ihr die Furcht nicht nehmen.
Als ahnte sie meine Gedanken, suchte die Kartanin plötzlich meinen Blick. Ich sah den feuchten Schimmer in ihren Augen.
Sie fürchtet sich vor dem Moment, in dem du NETWORK aufgeben wirst, wisperte mein Extrasinn.
Nachdem ich von Tabbars Tod erfahren hatte, waren mir solche Gedanken durch den Kopf gegangen. Aber ich trug nicht nur die Verantwortung für die ehemaligen Phasenspringer, sondern zugleich für Millionen Galaktiker in Endreddes Bezirk. Notfalls mußte der Einzelne vor dem Wohl der Gemeinschaft zurückstehen, und ich selbst nahm mich in der Hinsicht keineswegs aus. Jeder Angehörige des Kommandos Gonozal hatte gewußt, worauf er sich einließ.
„Wir werden unseren Gegner zur Strecke bringen", sagte ich. „Notfalls schrecke ich auch vor drastischen Attacken nicht zurück."
„Was ist, wenn wir doch die Station und nicht nur einen einzelnen Unbekannten gegen uns haben? Wirst du dann den Befehl geben, NETWORK zu räumen?"
Sie hatte meinen wunden Punkt getroffen. Sollte ich die Äquatorialstation wirklich um jeden Preis halten?
„Darüber diskutieren wir, falls es soweit kommt", antwortete ich ausweichend. „Momentan sehe ich keine Veranlassung dazu."
Dao-Lin war enttäuscht, ich sah's ihr an. Vermutlich hatte sie ein klares „Nein" erwartet, an das sie ihre Hoffnung klammern konnte. Ich verstand ihre Beweggründe; mir war klar, daß sie im Falle einer erforderlich werdenden Räumung Schwierigkeiten machen würde.
Sie geht lieber sehenden Auges in den Tod, als sich den Rest ihres Lebens Vorwürfe machen zu müssen, sie hätte Tekener im Stich gelassen.
„Bisher haben wir nur zwei Möglichkeiten in Erwägung gezogen", wandte Kentok Mirkom ein.
Der Überschwere war der Einsatzleiter der Gruppe GRIBBON, der unter anderem auch Sedge Midmays, der Bordarzt der CIMARRON, angehörte. „Die dritte Variante ist doch die, daß es den Operas bereits gelungen sein könnte, Zutritt zur Station zu erlangen. Oder sie haben sich zumindest eine Manipulationsmöglichkeit verschafft."
„Ausgeschlossen", wehrte Dao-Lin-H'ay sofort ab. „Die Operatoren versammeln sich noch, und mittlerweile ist ihre Zahl auf über sechseinhalbtausend angewachsen. Aber unseren Ortungen wäre es nicht entgangen, wenn einige von ihnen versucht hätten, NETWORK anzufliegen."
„Wir vergessen, daß es andere Möglichkeiten gibt. Einige Operas könnten ja über das Mini-Karussell gekommen sein."
„Nicht mehr, seit das Karussell bewacht wird", widersprach Midmays. Wie die Mehrzahl der Männer und Frauen, die sich zu unserer kurzen Lagebesprechung eingefunden hatten, hatte er bislang geschwiegen. „Wenn wir versuchen, uns auf einige wenige, aber wichtige Räume zu konzentrieren ..."
„... hat der Gegner uns vermutlich genau da, wo er uns haben will. Wir können NETWORK schon jetzt unmöglich bis in den hintersten Winkel überwachen, und wir würden Eindringlingen Tür und Tor öffnen ..."
„Der wunde Punkt ist nur das Karussell."
„Abgesehen vom gesamten Bereich der Außenhülle", sagte Alo-Sin-Piau. „Wir kennen eine größere Zahl von Lasten- und Personenschleusen, aber bestimmt nicht alle."
„Meine Kartanin haben inzwischen begonnen, die wichtigsten Zugänge zu sichern", wandte Dao-Lin-H'ay ein.
Ich nickte knapp. Dao-Lin hatte von mir freie Hand bekommen. Daß bei unserem Kampf gegen die Stabroboter die Positronik der Selbstverteidigungsanlagen zerstört worden war, konnten wir nicht mehr ändern. Damit hatten wir uns zwar die stationseigenen Roboter vom Hals geschafft, gleichzeitig aber den äußeren Verteidigungsgürtel ausgeschaltet. Wir konnten weder schwere
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