1789 - Der Fluch aus dem Norden
nackt. Kein Fetzen Kleidung bedeckte ihn mehr. Aber damit war noch etwas anderes passiert. Es gab auch keine Haut mehr zu sehen, sondern nur noch Fell!
Es war nicht zu fassen. Ole Olbring wollte schreien. Das gelang ihm nicht. Dafür schloss er die Augen, öffnete sie wieder und hoffte, dass dieses Bild verschwunden war.
Das war es nicht.
Noch immer stand die Frau mit dem Felloberkörper vor ihm. Aber das war nicht alles, denn etwas tat sich in ihrem Gesicht. Es fing an, sich zu verwandeln.
Es war einmalig. Es war furchtbar und es war faszinierend zugleich. Es gab keine Erklärung für ihn, er blieb einfach liegen und staunte, wie das möglich war.
Das Frauengesicht veränderte sich. Es zog sich zusammen, eine andere Hautschicht entstand und die Frau mit dem Fellkörper nahm ein völlig neues Aussehen an.
Es gab keine Stelle im Gesicht der Person, die sich nicht bewegte. Überall verschwand das Alte und das Neue entstand. Es war verrückt. Nach wie vor unbegreiflich, denn plötzlich sah der Zuschauer eine neue Nase, ein härteres Kinn, eine höhere Stirn und eine andere Augenpartie.
So sah kein Frauengesicht mehr aus.
Was hier entstanden war, gehörte einem Mann. Das war gut zu erkennen, daran gab es nichts mehr zu rütteln.
Eine neue Gestalt.
Also war sie eine Gestaltwandlerin.
Und es gab auch kein Fell mehr. Brüste waren ebenfalls nicht mehr vorhanden, denn der Körper gehörte jetzt einem Mann. Das war nicht zu fassen. Ein Mann, der wesentlich stärkere Arme hatte, auch die dazu passenden Hände.
Er bückte sich.
Sein Gesicht war für den Liegenden jetzt besser zu sehen. Es gehörte einem Menschen, aber es sah auch aus, als hätte jemand aus dem Weltall seine Spuren hinterlassen.
Das Gesicht glänzte silbern oder metallisch. So genau war das nicht festzustellen. Es sah aus, als wäre es mit einer Eiskruste überzogen worden.
Auch eisige Augen glotzten Ole an.
Er war nicht fähig, sich zu bewegen. Durch seinen Kopf rasten wilde Gedanken und er hoffte, dass keine davon eintreten würde, denn sie beschäftigten sich mit Mord und Blut.
Das Gesicht kam näher.
Auch zwei Hände, die ebenfalls silbrig schimmerten. Sie schienen auch länger geworden zu sein.
Dann griffen sie zu.
Sie legten sich um die Kehle des Mannes. Sie waren wie eine Klammer, drückten zu, und dann wurden die Spitzen der Finger zu regelrechten Messern.
Die Haut bot ihnen keinen Widerstand. Ein knapper Druck reichte aus, um Wunden zu hinterlassen, aus denen helles Blut sprudelte.
Ole Olbring wusste genau, was mit ihm geschah. Als er den Schmerz spürte, wollte er schreien, aber da pulste bereits das Blut durch seine Kehle und erstickte alles.
Auch Oles Leben …
***
Es war noch hell, als wir unseren Tisch einnahmen. Ein junger Kellner von den Philippinen hatte uns an den Tisch geleitet und die Stühle zurechtgerückt. Danach war er wieder verschwunden.
Suko und ich setzten uns noch nicht. Wie abgesprochen schauten wir uns um. Es war alles normal. Die Passagiere betraten den großen Raum, gingen zu ihren Plätzen und scherzten mit dem Personal, das sie schon gut kannten.
»Suchst du wen?«, fragte ich.
»Ja, unseren Schatten Ole Olbring.«
»Der wird noch kommen.«
»Möglich. Vielleicht bleibt der Stuhl auch leer.«
Ich schüttelte leicht irritiert den Kopf. »Wie kommst du denn darauf?«
Suko setzte sich. »War nur so eine Idee.«
»Okay.«
Ich griff zur Karte. Unser Kellner erschien und erkundigte sich, ob er schon etwas zu trinken bringen sollte.
»Ja«, sagte ich und sprach für Suko gleich mit. »Bringen Sie uns bitte eine große Flasche Mineralwasser.«
»Sehr wohl, sofort.«
»Bleibst du beim Wasser?«, fragte Suko.
»Zunächst.«
»Ich sowieso.«
Essen wollten wir auch etwas, und so schlugen wir die Karten auf.
Wir konnten unter einem Menü wählen, das aus vier Gängen bestand, aber auch einige Standardgerichte bestellen, die auf der Karte standen.
Großen Hunger hatte ich nicht. Deshalb entschied ich mich für eine Tomatensuppe und als Hauptgericht für einen Nudelteller mit einer scharfen Soße.
Suko aß nur Salat. Er liebte eben das Grünzeug, ganz im Gegensatz zu mir.
Der Kellner nahm die Bestellung entgegen. Ich gönnte mir noch ein Glas Roséwein und lehnte mich dann zurück.
»Unser Freund ist noch immer nicht gekommen, John.«
»Ich weiß.«
»Und?«
Ich lächelte. »Was und?«
»Was sagt dein Bauch?«
»Wenig.«
»Okay. Du machst dir also keine Sorgen, weil er noch nicht hier
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