18 - Eine Taube bringt den Tod
wäre einer dringenden Aufforderung gefolgt, die ihm der König geschickt hatte. Aber es lag auf der Hand, dass weder der König noch dein Vater ihm eine solche Botschaft geschickt haben konnten, denn beide waren zu dem Zeitpunkt nicht auf Brilhag.«
»Und was ergibt sich daraus?«
»Ich vermute, man hat Abt Maelcar vorsätzlich nach Brilhag gelockt; er sollte dort auf seinen Mörder treffen. Die Botschaft war, wie Riwanon sagte, erstunken und erlogen.«
Trifina kniff die Augen zusammen. »Du meinst also, Iuna war die Mörderin und hat irgendwie mit Iarnbud unter einer Decke gesteckt? Ich bleibe dabei, du irrst. Ich kenne beide und ziemlich gut sogar.«
»Das tut nicht unbedingt etwas zur Sache. Wie lange steht Iuna in euren Diensten?«
Erst nach kurzem Überlegen rang sich Trifina zu einer Antwort durch. »Sie war sieben, als mein Vater sie als Pflegekind aufnahm.«
»Pflegekind?« Da der lateinische Ausdruck curare gefallen war, fragte sich Fidelma, ob das auf denselben Brauch zurückging, der auch in ihrem Land befolgt wurde. Dort nannte man die Sitte altramm, die in den Sippenverbänden als wesentlich für die Heranbildung eines Kindes galt. Wenn ein Kind sieben Jahre alt war, konnte es einer anderen Familie zur Bildung und Pflege übergeben werden. Das Pflegeverhältnis konnte altramm serce sein, also auf Zuneigung und gegenseitiger Achtung von im Rang gleichstehenden Familien beruhen; ein Entgelt wurde dabei nicht gezahlt. Es gab auch eine zweite, weniger übliche Form, die Pflegschaft gegen Entgelt. In beiden Fällen hatte die Pflegefamilie das Ziehkind dem Rang entsprechend zu versorgen, in den es hineingeboren war. Darüber wurde ein rechtsgültiger Vertrag geschlossen. Fidelma mühte sich, Trifina diesen Sachverhalt darzustellen, und erfuhr dabei zu ihrer Verwunderung, dass hierzulande ähnliche Bräuche befolgt wurden.
»Ein Freund meines Vaters in Brekilien, gleichzeitig ein entfernter Verwandter, sandte Iuna zu uns. Er war ein Adliger und fiel bald danach bei der Verteidigung des Grenzgebiets im Kampf gegen die Franken. Auch Iunas Mutter wurde damals getötet. So gehörte sie voll und ganz zu unserer Familie.«
»Das heißt, Iuna ist als Angehörige eurer Familie aufgewachsen? Und doch sagt sie, sie sei die Hausbesorgerin und eure Bedienstete.«
Trifina zuckte abfällig mit den Achseln. »Es steht ihr frei, sich zu bezeichnen, wie sie möchte. Ihre Familie wurde bei einem Überfall der Franken vernichtet, und so ist sie bei uns geblieben. Wir haben sie stets als Mitglied unserer Familie betrachtet und sind ihr zugetan. Sie hat es jedoch aus eigenem Entschluss übernommen, die Stellung einer …« – sie suchte einen Moment nach dem passenden Wort –, »… quae res domesticas dispensat auszufüllen.«
»Haushälterin«, schlug Fidelma vor.
»Sie ist wie eine Oberhofmeisterin tätig. Kümmert sich um alle Haushaltsbelange auf der Burg, obwohl sie sich auf ihre Adelsrechte berufen könnte. Aber sie neigt dazu, sich als Märtyrerin zu betrachten. Sie scheint sich in dieser Rolle zu gefallen, und, um ehrlich zu sein, uns kommt das sehr zupass, besonders seit meine Mutter vor sechs Jahren an der Gelben Pest starb. Es steht Iuna völlig frei, zu kommen und zu gehen, wann sie mag. Und sie tut das auch. Sie hat ihr eigenes Boot und kann vorzüglich segeln.«
»Deine Mutter und ein Opfer der Seuche – das tut mir leid.«
»Ich fürchte, es gibt keine Familie in unserer Welt, die nicht in der einen oder anderen Weise unter der Seuche gelitten hat«, war Trifinas einzige Bemerkung.
»Hat Iuna den Abt gut gekannt?«
Fast musste Trifina darüber lachen. »Ob sie ihn gut gekannt hat? Unsere Familie hat das Patronat über seine Gemeinschaft. Wir alle kennen ihn seit Jahren. Doch dann hat er sich der Regula des Benedikt verschrieben, und das missfällt meinem Vater sehr. Er hält es mehr mit den alten Bräuchen. Der Abt stammt übrigens nicht aus dieser Gegend. Er kommt aus Brekilien, wo auch Iunas Familie ihren Sitz hatte.«
»Und Iarnbud? Wie stand der zu dem Abt?«
Trifina runzelte die Stirn. »Du stellst eine Menge Fragen.«
»Das ist mein Beruf«, verteidigte sich Fidelma. »Ich habe ja erwähnt, dass ich in meiner Heimat Anwältin bei den Gerichtshöfen bin und meine Aufgabe …«
Trifina hob kurz die Hand. »Das habe ich begriffen. Aber ich verstehe nicht, warum du deine Fragen hier stellst. Schließlich hast du in diesem Königreich keinerlei Amtsgewalt.«
»Riwanon hat mich beauftragt,
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