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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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ist, als man sich Sha­ke­s­pea­re ge­mein­hin vor­stellt. Und er ist über die Ma­ßen frei­ge­big, be­son­ders ge­gen­über al­ten Schau­spie­lern, die bes­se­re Ta­ge ge­se­hen ha­ben.
    Was letz­te­res be­traf, so war ihm in die­ser Spiel­zeit der Miß­griff pas­siert, Gu­thrie Boyd für ei­ni­ge der schwie­ri ge­ren Rol­len zu en­ga­gie­ren, ein­schließ­lich ei­ni­ger Rol len, die ge­wöhn­lich F.F. spiel­te: Bru­tus, Othel­lo und da­ne­ben Dun­can in Mac­beth, Kent in King Le­ar und den Geist in Ham­let. Gu­thrie war ein lär­men­der, schwer trin­ken­der Bär von ei­nem Schau­spie­ler, der sich in Aus­tra­li­en als Sha­ke­s­pea­re-Dar­stel­ler einen ge­wis­sen Ruf er­wor­ben und mit Er­folg ei­ni­ges von sei­ner Re­pu­ta­ti­on in den Wes­ten her­über­ge­schmug­gelt hat­te. Es fiel ihm nicht be­son­ders schwer, sein Brül­len zu mä­ßi­gen, sei­ne Ge­füh­le wa­ren im­mer ein­fach und auf­rich­tig, wenn auch et­was ex­plo­siv ge­we­sen – und schließ­lich ging er so­gar für ei­ni­ge Jah­re nach Hol­ly­wood. Aber da man ihm meist nur stu­pi­de Film­rol­len über­ließ, trank er im­mer mehr. Sei­ne Frau ließ sich von ihm schei­den. Sei­ne Kin­der sag­ten sich von ihm los. Er hei­ra­te­te ein Star­let, aber auch die­ses trenn­te sich bald von ihm. Dann ver­schwand er für ei­ni­ge Zeit.
    Nach ei­ni­gen Jah­ren traf ihn zu­fäl­lig un­ser Prin­zi­pal. Gu­thrie tin­gel­te da­mals ge­ra­de durch Ka­na­da, nur noch ein Schat­ten sei­nes frü­he­ren Selbst, aber es war noch im­mer ge­nug Sub­stanz in die­sem Schat­ten ver­bor­gen – und Boyd trank nicht. Der Prin­zi­pal be­schloß al­so, ihm ei­ne Chan­ce bei sich zu ge­ben, ob­wohl Har­ry Gross­man, der Ma­na­ger, strikt da­ge­gen war. Wäh­rend der Pro­ben und der ers­ten Auf­füh­rungs­mo­na­te war es wun­der­bar zu be­ob­ach­ten, wie der al­te Gu­thrie Boyd zu sich selbst fand, so als wä­re Sha­ke­s­pea­re ei­ne be­le­ben­de Me­di­zin für ihn.
    Es mag tö­richt oder sen­ti­men­tal klin­gen, so et­was zu sa­gen, aber Sie ken­nen ja mei­ne Mei­nung, Sha­ke­s­pea­re sei für al­le und al­les gut. Ich weiß von kei­nem Schau­spie­ler, mich selbst aus­ge­nom­men, des­sen Cha­rak­ter nicht durch Sha­ke­s­pea­re ge­stärkt, des­sen Welt­bild durch ihn nicht er­wei­tert wor­den wä­re. Ich ha­be ge­hört, daß Gil­bert Us­her, be­vor er Sha­ke­s­pea­re-Dar­stel­ler wur­de, ein sehr ru­he­lo­ser, ehr­gei­zi­ger und kri­ti­scher Mann ge­we­sen sei, nicht oh­ne Bos­heit, aber Sha­ke­s­pea­re scheint ihn mil­de ge­stimmt zu ha­ben, wie er auch Props’ Phi­lo­so­phie ge­glät­tet und ihm ein Le­bens­ziel ge­wie­sen hat. In der Tat den­ke ich manch­mal, daß al­les, was das bri­ti­sche Volk an zi­vi­li­sier­ter Ge­las­sen­heit be­sitzt – die­ser klei­nen, aber durch­aus rea­len Fä­hig­keit, über sich selbst zu la­chen – haupt­säch­lich auf sein großes Glück zu­rück­zu­füh­ren ist, daß Wil­liam in ei­ner sei­ner Schau­spiel­trup­pen ge­bo­ren wor­den ist.
    Aber ich woll­te ge­ra­de be­rich­ten, wie Gu­thrie Boyd ent­ge­gen un­ser al­ler Er­war­tun­gen in die­sen ers­ten Wo­chen er­staun­lich gut spiel­te, so daß wir kaum noch den Atem an­zu­hal­ten oder über ihn die Na­se zu rümp­fen brauch­ten. Sein Bru­tus war künst­le­risch aus­ge­wo­gen, sein Kent vor­treff­lich ge­lun­gen – die­se Rol­le lag ihm be­son­ders –, und re­gel­mä­ßig er­hielt er be­geis­ter­te Kri­ti­ken für sei­nen Geist in Ham­let. Ich glau­be, daß in all den Jah­ren des le­ben­den To­des, die er als Al­ko­ho­li­ker durch­lit­ten hat­te, in ihm ein tief emp­fun­de­nes Ver­ständ­nis für Ein­sam­keit und Ver­zweif­lung er­wacht war, das er, wahr­schein­lich un­be­wußt, bei der In­ter­pre­ta­ti­on die­ser klei­nen Rol­le mit großer Wir­kung ein­zu­set­zen wuß­te. Gu­thrie Boyd in der Rol­le des Geis­tes war wirk­lich ei­ne höchst ein­drucks­vol­le Ge­stalt, so­gar vom Äu­ße­ren her. Das Ko­stüm ist denk­bar ein­fach: ein großer, die gan­ze Fi­gur ein­hül­len­der Um­hang, der bis zum Bo­den reicht, dann ein mäch­ti­ger, schwer­fäl­li­ger Helm mit

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