18 Geisterstories
Menschen, die an diesem 9. Dezember nach New York fliegen wollen.
Ohne daß ich sie rufe, erscheint mir die Frau aus dem Meer in jener Nacht zum 9. Dezember als gespenstische Erscheinung. Sie steht plötzlich mit strähnig nassem Haar und mit grünlich durchsichtig schimmerndem Körper vor mir.
Starr vor Angst und Entsetzen liege ich im Bett. Dabei glaube ich zu spüren, wie sich mir buchstäblich die Haare sträuben.
Die Frau aus dem Meer hebt warnend die Hand und raunt mir etwas zu.
»… die Uhr … buntes Papier … nicht mitnehmen …«
Mehr als diese sinnlosen Satzfetzen verstehe ich nicht. Aber während ich noch starr vor Grauen daliege und die se Geistererscheinung mitten im dunklen Zimmer stehen sehe, erkenne ich plötzlich das Gesicht von Freddys älterer Schwester Myrna, von der er mir Fotos gezeigt hat.
Kaum habe ich sie erkannt, da wird das Gesicht, wird die ganze Erscheinung undeutlicher und zerfließt und verschwindet in der Nacht.
Sofort mache ich Licht. Mein Puls rast. Meine Hände zittern, als ich mir eine Zigarette anzünde. An Schlaf ist in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Mehrmals greife ich zum Telefonhörer und lasse jedesmal die Hand mutlos wieder sinken.
Freddy würde mich für verrückt erklären, wenn ich ihn jetzt mitten in der Nacht fragen würde, wie seine Schwester Myrna voriges Jahr ums Leben gekommen ist. Darüber hat er noch nie mit mir gesprochen. So weiß ich nur auf Umwegen, daß Myrna vor vierzehn Monaten tödlich verunglückt ist.
Als vor den Fenstern meines Apartments neblig trüb der Morgen dämmert, ist mein Entschluß gefaßt. In wenigen Stunden startet Freddys Maschine nach New York. Mir bleibt nur noch diese kurze Zeitspanne.
Eine Stunde später habe ich telefonisch von einer schläfrigen Stimme in der Friedhofsverwaltung erfahren, daß Myrna Thompson am 12. Oktober 1970 gestorben ist. Gleich darauf bin ich auf dem Wege zum Zeitungsarchiv. Aber ich muß warten, bis ich endlich in nervöser Hast die Zeitungen vom 13. bis 17. Oktober 1970 durchblättern kann.
Wenige Minuten später habe ich drei Zeitungsnotizen gelesen, und jetzt ist mir alles klar! Ich rase zur nächsten Telefonzelle und rufe Freddy an. Gottlob! Er ist noch da!
»Freddy, war dein Stiefbruder Malcolm etwa heute morgen noch bei dir?« frage ich sofort.
»Ja, der war da«, antwortet er ungeduldig. »Aber Pamela, ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr. Das Taxi wartet schon. In einer Stunde geht mein Flugzeug. Bis nächste Woche –«
»Freddy!« rufe ich verzweifelt. »Dein Gepäck! Du mußt sofort nachsehen –«
Aber er hat schon abgehängt. Mein Gott! Was soll ich nur tun? Die Polizei alarmieren? Die würden mich doch nur auslachen!
Ich bin mitten in der City, und Freddy wohnt nur zehn Autominuten vom Flughafen entfernt. Dreimal sause ich noch bei Rot über die Kreuzung und übertrete mit meinem Mini-Morris sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen.
Aber ich muß es schaffen! Ich muß! Dreihundert Menschen fliegen mit dieser Jumbo-Jet nach New York!
Als ich durch die Halle renne, werden die Passagiere für Flug Nummer B 609 um 11 Uhr 03 nach New York gerade per Lautsprecher aufgerufen. Ich haste durch die Paßkontrolle und höre Beamte hinter mir wütend rufen.
»Freddy!«
Ich erwische ihn, als er mit seinem Bordkoffer gerade zum Ausgang schlendert. Er starrt mich ganz verblüfft an.
»Hat dir Malcolm etwas mitgegeben?« rufe ich atemlos.
Er nickt erstaunt. »Ja, für seine Freundin eine Schachtel Weinbrandpralinen. Die sind drüben verboten, und ich habe sie hier –«
Da zerre ich schon den Reißverschluß der Außentasche seines Bordkoffers auf und ziehe die Schachtel im bunten Geschenkpapier hervor.
»… die Uhr … buntes Papier … nicht
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