18 Geisterstories
Ausdrücken innigster Verehrung und heißer Sehnsucht nach dem Wiedersehen des göttlichen Hamlet.
Um halb sechs kam mit der Dämmerung sein Freund Gustav Rietschi. Er fand Hamlet in Grau gehüllt, mit zwei roten Blutflecken des sinkenden Abends auf Brust und Schultern und den Degen sinnend vor sich, daß die schmale Klinge im Halbkreis vom Korb zum Fußboden sprang. Der Spiegel wiederholte dies alles noch einmal, fahler, grauer und leblos starrer als die Wirklichkeit.
»Ich höre, daß du wieder den Hamlet spielen willst.«
»Ich habe mich dazu entschlossen. Der Direktor hat mir stark zugesetzt, um den Shakespeare-Zyklus zu ermöglichen und ich … warum sollte ich nicht wieder einmal den Hamlet spielen. Meine beste Rolle … lächerlich!«
»Wenn du selbst das von damals überwunden hast, warum solltest du ihn nicht spielen? Gewiß.«
»Ich … ich habe es überwunden.« Prinz ließ die Klin ge aufspringen, daß sie leise im Korb klirrte. Die blutigen Flecken auf Brust und Schultern breiteten sich im Grau aus, verschwammen und zitterten ins Dunkel hinüber.
Der Freund sah den schmalen, schwarzen Streifen der Klinge von der Hand Hamlets ausgehen, wie einen ins Ungewisse gerichteten Willen. »Wie lange ist das schon her?«
»Du bist glücklich, daß du nicht die Jahre zählen muß test. Fünf Jahre Verbannung von dem Besten und Höchsten meiner Kraft.«
»Ich kann es mir denken, daß dir jede Wiederholung auch alles Entsetzen von damals hätte furchtbar zurückbringen müssen.«
»Eine Laune, mein Lieber, eine Laune. Oder glaubst du vielleicht, mein Gewissen … Willst du vielleicht sa gen, daß mehr als ein unglücklicher Zufall …«
»Aber … aber, Prinz! Du scheinst noch immer nicht ganz überwunden zu haben. Deine Aufregung damals hat deine Nerven stark mitgenommen.«
»Ja, es war furchtbar, als er so vor mir lag. Blut an seinem Wams und mein Degen voll Blut. Kein Theatertod, von dem man sich erhebt, um sich dem Beifall des Publikums lächelnd zu verbeugen, sondern der wirkliche Tod. Noch ein paar Zuckungen und Krämpfe und dann taub für das Klatschen. Dieses Klatschen war furchtbar. Sie wußten nichts und glaubten an einen Triumph der Schauspielkunst. Fortinbras mußte die Worte finden, die uns anderen erstarrt waren.«
Die Wirtin brachte die Lampe, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, um zu Prinz vorzudringen. Aber ihre Liebenswürdigkeiten und die erhöhte Farbigkeit ihres Gesichts gewannen keine Beachtung. Als sie schmollend gegangen war, legte Hamlet den Degen auf den Tisch. »Ein Zufall, Freund, ein unglücklicher Zufall. Ein Versehen des Requisiteurs und der Tod stand unter uns. Ich schwöre dir, ein Zufall.«
»Es zweifelt niemand daran.«
»Seitdem trage ich meine eigenen Waffen, von denen ich weiß, daß sie stumpf und unschädlich sind.« Er bohr te die Spitze des Degens gegen die Handfläche, als wollte er einen Richter von seiner Unschuld überzeugen. »Und doch … wenn sich auf der Bühne die Klingen kreuzen, so zittere ich und meine Fechterkünste sind nicht besser als die irgendeines Statisten.«
»Ich habe es bemerkt.«
»Hast du es bemerkt? Nicht wahr! Vielleicht hat es auch das Publikum bemerkt. Und überhaupt, weißt du, ich fühle mich seitdem nicht mehr voll. Die Kritik schont mich nur. Aber ich will kein Almosen des Beifalls. Wenn ich den Hamlet wieder gespielt habe, bin ich frei. Ich muß wieder einem Laertes gegenübertreten, ich muß ihn sich erheben und lächeln sehen, weißt du, dann habe ich dieses greuliche Gespenst besiegt.«
Er wuchs zu voller Schlankheit empor und fiel aus einer raschen Fechterstellung mit einigen Stößen aus, die einen körperlosen Feind durchbohrten. Dann sank der Degen wie in Verzweiflung am Sieg. »Du warst … nicht wahr, du warst doch damals meist um mich? Als ich im
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